Jutta Schöler: Die Arbeit von Milani-Comparetti und ihre Bedeutung für die Nicht-Aussonderung behinderter Kinder in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland

Zuerst veröffentlicht in: Schöler, Jutta (1987): Die Arbeit von Milani-Comparetti und ihre Bedeutung für die Nicht-Aussonderung behinderter Kinder in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland. In: BEHINDERTENPÄDAGOGIK, 26. Jg., Heft 1/1987 , Seite 2-16

Jutta Schöler:
Die Arbeit von Milani-Comparetti und ihre Bedeutung für die Nicht-Aussonderung behinderter Kinder in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland als PDF

1. Vorbemerkungen
Im Rahmen der Ringvorlesung an der Freien Universität Berlin im Sommersemester 1986: „Psychische Entwicklung und Behinderung“ (Prof. Dr. Martin Hildebrand·Nilshon als Initiator) war für den 06.05.1986 ein Vortrag von Prof. Dr. Adreano MILANI-COMPARETTI vorgesehen. Bei dem hier vorliegenden Text handelt es sich um die Überarbeitung des nach Notizen gehaltenen Vortrages.
Zu meinen Motiven, diesen Vortrag zu halten: In meiner eigenen Entwicklung gehört der 1986 überraschend verstorbene Adreano MILANI-COMPARETTI zu den Menschen, die mir Sicherheit gegeben haben. In wenigen, sehr intensiven Gesprächen hat er mir bewußt gemacht, welche falschen Fragen ich immer noch stelle und zugleich hat er mir die Sicherheit gegeben, eigene Wege hier in Berlin zu suchen, um auch für unsere Kinder (ob behindert oder nicht behindert) ein breiteres Spektrum an Normalität zuzulassen (1).
MILANI-COMPARETTI hat 1979 in Berlin zum zwanzigjährigen Bestehen des Bundesverbandes für spastisch Gelähmte und andere Körperbehinderte gesprochen und seine Entwicklung weg von aussonderndem – hin zu integrativem Verhalten – gegenüber Menschen mit Behinderung dargestellt: „Ich selbst hatte 1958 damit begonnen, mich mit den Behinderten zu beschäftigen und habe an dem Aufbau und der Gestaltung der ersten Einrichtungen in Florenz mitgearbeitet. Diese Einrichtungen hatten ihren Erfolg in den sechziger Jahren. Im Jahre 1958 wurde ich Direktor des Centro di Educazione Motoria „Anna Torrigiani“ in Florenz. Dieses war eine Tages-und Heiminstitution für die Rehabilitation von CP-Kindern.
Es ist unmöglich, hier einen vollständigen Bericht unserer Aktivitäten während der ersten zehn Jahre zu geben. Während dieser Zeit wurden viele neue Hilfsmaßnahmen und Spezialschulen geschaffen sowie Schulungskurse für Sonderlehrer und Therapeuten; all dies wurde ausgeführt mit der Überzeugung, daß dies das Beste war, was wir für die Kinder tun können.
Dies basierte auf der überkommenen Illusion, daß eine Behandlung zuerst die Behinderung vermindern müßte, so daß dann später ein normales Leben möglich würde. Dagegen möchte ich jetzt betonen, daß Rehabilitation mit dem Einbeziehen in das normale Leben beginnt und ohne dies zum Scheitern verurteilt ist. Die Aussonderung ist in sich selbst eine Behinderung. Ich meine nicht unbedingt körperliche Einschließung, sondern die subtile Art von Aussonderung, die heimlich in so mannigfacher Weise die diagnostische Prozedur bildet, wie man den Eltern die Behandlung ihres Babys erklärt oder die Wahl einer Behandlungsmethode begründet. Das ganze Leben eines Behinderten kann in solcher Weise durch Behandlung bestimmt werden, daß es unausweichlich zur Aussonderung hinführt. Von allen neugeborenen Kindern ist es das behinderte, dem es passieren kann, daß es seine Mutter wochenlang nicht sieht, obwohl es eigentlich mehr menschlichen Kontakt benötigt. Es kann sein, daß es, weil es ja in der Säuglingsklinik bleiben muß, weniger menschlichen Kontakt bekommt, als das schon glückliche normale Baby. Es wird dann medizinische Behandlung erfahren, manchmal isoliert von seiner Familie im Krankenhaus und in Behandlungszentren. Es wird zum Zwecke der Behandlung aus seinem Leben herausgegriffen und wird seine Laufbahn in speziellen Behandlungszentren und Sonderschulen fortsetzen. Dieses Kind wird immer das nie erreichbare Ziel verfolgen, so normal zu werden, daß es endlich in die Gesellschaft integriert werden kann. All das macht das Kind zu einem „Behinderten“ an Stelle eines Menschen, der eine Behinderung hat, macht ihn zu einem andersartigen und besonderen Menschen, setzt ihn außerhalb der Gemeinschaft und bereitet so seine endgültige Zurückweisung aus der Gesellschaft vor. Wenn endlich die langerwartete Integration möglich erscheint, ist das Kind älter und die Barrieren sind viel schwieriger zu überschreiten, und die Gesellschaft macht das Versagen akzeptabel, indem sie goldene Käfige bereitstellt. Wir brauchten in Florenz zehn Jahre um zu verstehen, daß dieser Ansatz eine Illusion war, um zu erkennen, daß die Sozialisation des Behinderten nicht ein Ziel für die Zukunft, sondern ein Mittel für die Rehabilitation selbst ist“ (2).
2. Grundforderungen
In der Zeit von 1979 bis 1982 wurden für schwerer behinderte Kinder akzeptable Betreuungsmöglichkeiten außerhalb des Zentrums gefunden. Danach war die berufliche Tätigkeit von MILANI-COMPARETTI und seinen Mitarbeiterinnen (Ich schreibe Mitarbeiterinnen, Geburtshelferinnen, wenn ich deutlich machen will, daß es sich bei den Personen um Männer und Frauen handelt.) geprägt durch die Zweiteilung: Einerseits Basismediziner in einem Ambulatorium als zuständige Kinderärzte – mit dem vorrangigen Ziel der Suche nach Normalität und auf der anderen Seite (dennoch) das möglichst frühzeitige Erkennen von Störungen innerhalb der psychomotorischen Entwicklung und die daraus folgende Beschäftigung mit dem Kind und seinen Bezugspersonen.
MILANI hat sich – gemeinsam mit Geburtshelferinnen sehr intensiv mit der Entwicklung der kindlichen Motorik beschäftigt. Er sprach von der „Sprache der Motorik“, die sich in der 10. und der 20. Schwangerschaftswoche entwickelt. Aus diesen Beobachtungen konnte er ableiten, daß Bewegungsmuster, die aufgrund von Störungen im Zentralnervensystem bisher als pathologisch bezeichnet wurden, in frühen Phasen der menschlichen Entwicklung durchaus funktional waren. Beim spastisch behinderten Kind fehlen Bewegungsmuster. Es konnten keine funktionalen Alternativen aufgebaut werden.
Aus MILANIs theoretischen Arbeiten zur Früherkennung von Körperbehinderungen folgen vier Forderungen für die Praxis von Medizinern Innen, Therapeutinnen und Pädagoginnen:

  • Den Dialog mit dem Kind aufnehmen!
  • Die drei Dimensionen der Beziehungen jedes Kindes respektieren!
  • Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen!
  • Die Normalität der Kinder fördern!

Zu 1: Den Dialog mit dem Kind aufnehmen!
MILANI nahm die Kinder so ernst, daß er sie nicht in eine Testsituation brachte. Er sagte z.B.: „Früher wurden Sprungbereitschaftsreaktionen vom Untersucher ausgelöst; heute sieht man am Sitzen, daß die Sprungbereitschaftsreaktion vorhanden ist.“ Während MILANI sich mit den Eltern unterhielt, nahm er mit dem Kind langsam durch Schnalzgeräusche, Mimik oder Gestik die Kommunikation auf. Er vertrat den Standpunkt, es sei Aufgabe des Untersuchers, als Spezialist die „vorschlagende Identität“ des Kindes zu erkennen. Es ist nicht der Erwachsene, der die Vorschläge macht und das Kind hat irgendwie zu reagieren, sondern: Der Erwachsene muß auf die Vorschläge des Kindes reagieren und mit ihm in einen Dialog treten. Dazu gehört, daß immer gegenseitige Mitteilungen ermöglicht werden müssen.
„Unsere Aufmerksamkeit ist also nicht so sehr auf das Studium der Antworten als auf das Studium der Vorschläge zu lenken, und das bedeutet, die reizgebende Arbeitsweise zu verlassen. Reize gibt man Versuchstieren, aber nicht Kindern; denn die reflexen Mechanismen und Antworten sind gerade die Negation der Botschaft, die wir erhorchen, und der Mitteilung, die wir fördern, und des Dialogs, den wir beginnen wollen. Reiz und Antwort erschöpfen sich gegenseitig und schließen einen Kreis, der zweidimensional bleibt und die dritte Dimension der Entwicklung und des Schöpferischen ausschließt“ (3).

 

Zu 2: Die drei Dimensionen der Beziehungen jedes Kindes respektieren!

  • Ganzheitlichkeit seiner Person
  • Zugehörigkeit des Kindes zur Außenwelt
  • Entwicklung, die seine Zukunft betrifft.

Im Gespräch mit MILANI berichtete ich von einem Jungen mit einer spastischen Behinderung in den Armen und den Beinen, der mit etwa zehn Jahren zum ersten Male in seinem Leben allein schaukelte und dabei offensichtlich glücklich war (4).
Der Körperbehindertenpädagoge, der dem Gespräch zugehört hatte, griff das Beispiel auf: Beim Schaukeln lernen diese Kinder völlig falsche Bewegungsmuster. Wenn die nicht rechtzeitig vermieden werden, ist es für immer zu spät. Das Kind kann einen Rundrücken kriegen und die Hand ganz verkümmern.
MILANIs Antwort: „Wie gut, daß das Kind endlich einmal das angenehme Gefühl hatte zu schaukeln.“
„Es gibt keine falschen Bewegungsmuster: – Wenn wir isoliert die Haltung des angewinkelten Armes bei diesem Kind sehen und erschrecken vor der uns verkrampft erscheinenden Haltung, dann können wir überhaupt nicht wahrnehmen, daß das Kind im gleichen Moment eventuell die Beine anhebt, um nicht im Schwung auf dem Boden anzustoßen.“
„Für die Haltung des Armes gibt es Alternativen. Es gibt gute und schlechte Alternativen. Aufgabe der Therapeutin in einer solchen Situation wäre, dem Kind die guten Alternativen zu zeigen.“
Wir müssen die ganzheitliche Dimension der Person des Kindes beachten: Arme und Füße zugleich sehen, den Dialog aufnehmen und an den Augen, dem Lachen oder der Mimik erkennen, daß es Spaß macht.
„Für ein Kind ist es schlimmer, nicht schaukeln zu dürfen als keinen Arm zu haben.“
Zur Außenwelt eines normalen Kindes gehört es, auf einen Spielplatz zu gehen und zu schaukeln. Dort trifft es andere Kinder, knüpft Beziehungen. Aber stellen Sie sich bitte vor, was es für das Kind, seine Eltern oder die Erzieherin im Kindergarten bedeutet, wenn es ihm wegen angeblich pathologischer Armhaltung verboten wird zu schaukeln!
Der Körperbehindertensonderpädagoge entgegnete MILANI, es sei doch möglich, daß das Kind sich verkrampft oder von der Schaukel fällt!
MILANIs Antwort: „Wenn Erwachsene diese Angst haben, und zugleich erkennen, daß das Kind schaukeln will, dann müssen wir uns eine Schaukel einfallen lassen, aus der das Kind nicht herausfallen kann oder es in der Schaukel anschnallen. Unserer Erwachsenenängste wegen einem Kind all die Erfahrung nehmen, die es beim Schaukeln machen kann, bedeutet, seine Entwicklung hemmen.“
Bei der Vorbereitung dieses Vortrages ist mir erst bewußt geworden, daß MILANI meinen Gesprächsbeitrag aufgenommen hatte, um die folgende Textstelle deutlich zu machen:
„Um besser zu verstehen was Gewalt gegen das Kind ‚ist, muß man versuchen, seine Bedürfnisse zu analysieren. Um dies zu vereinfachen, könnte man von der Unterscheidung der drei interaktiven (zueinander in Beziehung stehenden) Dimensionen ausgehen, in denen es lebt:

  • die ganzheitliche Dimension seiner Person,
  • die Dimension seiner Zugehörigkeit im Verhältnis zur physischen und menschlichen Außenwelt,
  • die Dimension seiner Entwicklung, die seine Zukunft betrifft.

Die traditionelle Medizin, die wir anfechten, und ganz besonders die rehabilitative Medizin, stellte wegen ihrer Kontinuität einen Mißbrauch, eine Gewaltaktion dar, weil sie das reale, in diesen drei Dimensionen lebende Individuum zerbricht und stattdessen die Vorstellung eines nichtexistierenden Wesens anbietet. Die Medizin der Vergangenheit ist in der Tat

  • charakterisiert durch fachliche Teilhaftigkeit (ital. settorialità), d.h. sie sieht und behandelt das Kind in der Unterscheidung von gesunden und kranken Teilen,
  • isolierend, denn sie behindert seine sozialen Beziehungen und
  • entwicklungs-feindlich, weil es seine Zukunft nicht einbezieht.

Dies gilt für sogenannte Heilpädagogik, ebenso wie für die Bereiche der Psychologie und der Pädagogik, die dieser die Hand reichen: der mit dem Ausdruck defektbetont charakterisierte Einsatz, der dem Reparaturbedürfnis und dem Erziehungswillen des Erwachsenen gegenüber dem Kinde entgegenkommt, zerstört im allgemeinen die Harmonie im Zusammenspiel der drei genannten Dimensionen mehr als es der Defekt selbst getan hätte. Noch allgemeiner könnte man sagen, daß es typisch für unsere Kultur gewesen ist, die Erziehung des Kindes auf dem Mißtrauen für das Gelingen seiner Zukunft aufzubauen (5).
Zu 3: Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen!
Wie wichtig für MILANI die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder waren, will ich an einem Bericht von Eckhard JÄGER über die Visiten im Zentrum Anna Torrighiani deutlich machen:
„Zuerst einmal geht es MILANI-COMPARETTI darum, sich möglichst genaue Vorinformation zum aktuellen Anlaß des Besuches und zum bisherigen Lebens- und Leidensweg des Kindes zu verschaffen, noch bevor er mit den Eltern und dem Kind Kontakt aufgenommen hat. (…)
Nach dieser Vorbereitung beginnt die eigentliche Visite. Im Gespräch mit den Eltern geht es nicht so sehr um medizinische Anamnesedaten – (…) Katastrophenmedizin, sondern an erster Stelle steht das konkrete Problem, wie es sich den Eltern jetzt stellt bzw. in der vergangenen Zeit stellte. Ist die Tochter oder der Sohn, um die es ja eigentlich geht, in der Lage, sich Irgendwie verständlich zu machen, beschränkt sich das Gespräch natürlich nicht nur auf die Eltern und Prof. MILANI-COMPARETTI. Allein in der Mehrzahl der Fälle spielt sich das Gespräch wirklich nur zwischen den Erwachsenen ab. Dabei vermittelt Prof. MILANI-COMPARETTI durch sein Verhalten den Ettern die Gewißheit, daß sie von ihm absolut und uneingeschränkt ernst genommen werden! Die Position der Eltern ist hier nicht die des Unwissenden (der Arzt weiß alles, die Eltern haben von der Medizin keine Ahnung), nicht die der passiven Empfangenden (der Arzt allein sagt, was die Eltern alles tun müssen) und nicht die der Verurteilten (die Eltern erfahren unterschwellig eine Schuldzuweisung für die Krankheit des Kindes). Die Gesprächsatmosphäre bestärkt die Eltern ganz automatisch in ihrem Gefühl, zusammen mit ihrem Kind die Hauptakteure der Bahnung von Normalität zu sein. Die Gewißheit der Eltern, selbst mitwirken zu können bei der Aufgabe, dem Kind alle Möglichkeilen zu sehen, mit seiner Behinderung zurechtzukommen und sein Leben so gut es geht selbständig zu gestalten, ist eine zentrale Voraussetzung bzw. bereits der erste Schritt in Richtung der Normalität. Die Eltern werden dadurch viel aktiver, sie zeiqen viel mehr Einfallsreichtum, was die Lösung irgendwelcher konkreten Probleme des Alltags angeht; einfach dadurch, daß sie sich verantwortlich fühlen für das Wohlergehen ihres Kindes. Diese Gleichwertigkeit der Gesprächspartner im Beratungsgespräch, das gemeinsame Suchen einer Lösung des Problems negiert natürlich nicht die höhere medizinische Sachkenntnis von Prof. MILANI-COMPARETTI. Aber dieser Unterschied innerhalb der Fachkompetenz wird hier nicht mißbraucht für ein unbegründetes und auf jeden Fall unangebrachtes Positionsgefälle zwischen Arzt und „Patient“. MILANI-COMPARETTI versteckt sich nicht hinter seiner neuropsychiatrischen Kompetenz. (…)
Er erklärt z.B. den Eltern, warum diese oder jene Bewegungsweise für die motorische Entwicklung des Kindes sinnvoll ist oder weshalb auf bestimmte Punkte beim Sitzen oder Liesen geachtet werden sollte etc. Die Eltern ihrerseits haben vielleicht gegen den einen oder anderen Vorschlag irgendwelche Bedenken einzuwenden. Schließlich wird das gemeinsame Beraten zu irgendeiner Lösung führen, die einerseits vom klinischen Gesichtspunkt aus betrachtet, die Verbesserung der Lage des Kindes verspricht und die andererseits von den Eltern akzeptiert werden kann und daher auch in die Tat umgesetzt wird. (…)
Sollen die Eltern die Verantwortung für das Wohlersehen ihres eigenen Kindes wieder selbst in die Hand nehmen, ist es unumgänglich, sie über die tatsächliche Situation ihres Kindes in Kenntnis zu setzen. Genau hier sind wir aber am „Nerv“ des Umgangs mit den Eltern anbelangt: „tausend Dinge sehen, aber nur ein Ding sagen‘ soll nicht als Verharmlosung der Realität verstanden werden. Den Eltern die volle Wahrheit über die Situation ihres Kindes mitzuteilen, bedeutet nicht, daß dies zwangsläufig ohne Respekt vor der psychischen Situation der Eltern geschehen muß, nur weil die Wahrheit in diesem Falle eben sehr hart ist und die Eltern früher oder später mit dem Schmerz konfrontiert werden müssen. Das Leid, welches mit einem behinderten Kind verbunden ist, kann nicht verhindert oder auch nur abgemildert werden; es geht darum, die Eltern darin zu unterstützen, Kräfte zu mobilisieren, um mit diesem Leid leben zu können“ (6).
Monika ALY, die längere Zeit mit MILANI-COMPARETTI zusammengearbeitet hatte, hierzu:
„Es ist ein großer Unterschied, ob wir einer Mutter sagen: Ihr Kind wird in absehbarer Zeit sitzen können, sie können dabei das Kind auf diese oder jene Art unterstützen, oder ob wir sagen: Ihr Kind ist schwer· oder schwerstbehindert und wird niemals laufen können“ (7).
Zu 4: Die Normalität der Kinder fördern!
MILANI-COMPARETTI hielt es für unerläßlich, der Suche nach den positiven Zeichen den Vorrang zu geben und nicht der Suche nach den Defekten. Er verwies auf die positiven Effekte dieses Vorgehens für die Familie. Für die Entwicklung der Motorik hat MILANI-COMPARETTI nachgewiesen, daß es sich bei den Bewegungsmustern, die bisher als pathologisch bezeichnet wurden, um Reduktionen handelt- Bewegungen, die evtl. in der vorgeburtlichen Phase funktional waren. Wenn das Kind von sich aus keine funktionalen Alternativen zu den fehlenden Bewegungsmustern entwickeln konnte, dann müssen die Therapeuten helfen, das vorhandene Positive auszubauen.
MILANI überträgt diese Schlußfolgerungen auch auf die Entwicklung von Denkleistungen: Wenn aus irgendwelchen Gründen die Denkleistungen vermindert sind, dann muß bei dem vorhandenen Positiven angesetzt werden!
MILANI-COMPARETTI sagte bei seinem Vortrag 1981 in Hamburg: „Merkwürdigerweise nimmt man es einem Blinden ab, daß er nicht sehen kann und hilft ihm, Alternativen zu finden (wenn er nicht von selbst auf sie stößt), die ihm ein möglichst normales Leben erlauben; dies geschieht aber nicht beim geistig behinderten Kind, dessen korrekte Antwort auf den gegebenen Reiz oder auf die zu leistende Aufgabe immer als eine Frage der Intensität, der besseren Sinnesvermittlung oder der geschickteren Motivation angesehen wird, auch hier nach dem Motto: je mehr Behandlung desto mehr Resultate. Wir wissen ja, was die Verhaltenspsychologie in dieser Beziehung aus den Primaten herauszuholen im Stande ist“ (8).
Ein sehr konkretes Ergebnis der theoretischen Arbeiten von MILANI-COMPARETTI ist der Katalog der „Verhaltens- und Beziehungsweisen“, den die Basismediziner in der Toskana (Familienberaterlnnen, Hebammen, Kinderärztlnnen) verwenden, um bei allen Kindern im Alter von einer Woche bis drei Jahren deren Normalität zu entdecken.
Ich wiederhole MILANI-COMPARETTI: Um zu sehen, ob bei einem Kind die Sprungbereitschaft vorhanden ist, brauche ich nicht seine Reflexe auszulösen, ich muß gucken, wie das Kind sitzt.
MILANI-COMPARETTI hatte empirisch nachgewiesen, daß alle Störungen im Zentralnervensystem durch kleinste Veränderungen der Bewegungsabläufe an den Händen und den Füßen eines Kindes abzulesen sind. Dies muß der Spezialist wissen. Die Basismediziner konzentrieren sich auf die normalen Verhaltens- und. Beziehungsweisen, erst wenn festgestellt wird, daß da Störungen vorliegen, setzen die genaueren Beobachtungen an.

 

3. Schulreform in Italien
Die Arbeiten von MILANI-COMPARETTI können nur richtig verstanden werden im Kontext der Gesellschaftsreformen in Italien nach 1968.
Zur Psychiatriereform (gesetzliche Regelung: Mai 1978) und zur Gesundheitsreform (Dez. 1978) möchte ich hier keine spezifischen Aussagen machen (9).
Viel weniger bekannt bei uns als die Psychiatriereform (10) und zugleich für die Arbeiten von MILANI.COMPARETTI sehr wichtig ist die Schulreform (11). 1976 wurden die Sonderschulen per Gesetz in ganz Italien abgeschafft. Dies war nicht eine von oben verordnete plötzliche Veränderung, wie viele bei uns meinen, sondern eine Entwicklung wurde gesetzlich verankert, die seit ca. 10 Jahren vorbereitet war. Die Democratia Christiana sah sich gezwungen, diese Initiativen aufzugreifen, um nicht weitere Wählerstimmen zu verlieren. Das für ganz Italien gültige Gesetz, nach dem jedes Kind – unabhängig von Art und Grad der Behinderung – den Anspruch hat, in eine Regelschule aufgenommen zu werden, wurde mit den Stimmen der Democratia Christiana verabschiedet.
1977 wurden die Ziffernzensuren abgeschafft. Ende der Pflichtschule: 8. Klasse. Dies war das Ergebnis einer parallelen Entwicklung, die von anderen vorangebracht worden war als die Auflösung der Sonderschulen. Entscheidenden Einfluß auf diese Entwicklung hatte das Buch der Schüler von Barbiana. Der katholische Priester und Pädagoge – Don Lorenzo MILANI – war ein Bruder von MILANI-COMPARETTI.
Don MILANI hatte erkannt und mit seinen Schülern der italienischen Öffentlichkeit bewußt gemacht, daß das Selektionssystem an den Schulen vor allem die Arbeiterkinder und die Kinder auf dem Lande trifft.
In ihrem „Brief an eine Lehrerin“ schrieben die Schüler:
„Wem hätte es zugestanden, einem Menschen Einhalt zu gebieten, der zwei von vier Schülern durchfallen läßt? Der Direktor hätte es tun können, oder der Schulrat? Aber sie haben es nicht getan. Die Eltern hätten es tun können. Aber solange Ihr (die Lehrer) das Heft des Messers in der Hand haltet, werden die Eltern still sein. Dann muß man also entweder Euch jedes Messer (Zensuren, Zeugnisse, Prüfungen) aus der Hand nehmen oder die Eltern organisieren. Eine ordentliche Gewerkschaft von Vätern und Müttern, die imstande sein muß, Euch zu erinnern, daß wir Euch bezahlen und daß wir Euch bezahlen um uns zu dienen, nicht um uns hinauszuwerfen. Das wäre zuletzt zu Eurem Besten. Wer nie von Kritik getroffen wird, altert übel. Er verliert den Kontakt zur Geschichte, die lebt und fortschreitet. Er wird zu einem so armseligen Geschöpf, wie Ihr es seid“ (12).
1967 – einen Monat nach dem Erscheinen des Buches – starb Lorenzo MILANI. Die Studenten und die Arbeiterbewegung griffen dieses Buch 1968 auf. Die deutsche Übersetzung, die 1970 bei Wagenbach erschien, hatte auch bei uns in den Diskussionen um Schulreformen eine große Bedeutung: Viele der Forderungen, die in dem Buch „Scuola di Barbiana“ nachzulesen sind, sind bei den Reformen der staatlichen italienischen Schulen berücksichtigt worden. Es waren vor allem d.ie Mütter und Väter in den Industriegewerkschaften, die diese Reformen durchgesetzt haben. Heute sind die Klassenfrequenzen in Italien erstaunlich niedrig (13).
Bei diesen niedrigen Frequenzen ist in der Grundschule das Zweipädagogenprinzip durchgesetzt. Dies ist für die Lehrerinnen sicherlich die entscheidende Veränderung ihrer täglichen Unterrichtspraxis, wenn sie ein behindertes Kind in der Klasse haben: Sie sind dann nicht mehr die allein für alles Verantwortlichen, sondern sie müssen lernen zu kooperieren: Die Integration der Kinder mit Behinderungen fängt mit der Kooperation der Lehrerinnen und der Kooperation aller Spezialisten an (14).
In Italien sind an die Stelle der Ziffernzensuren Beschreibungen getreten, die den Eltern Auskunft geben über den jeweiligen Stand der Entwicklung ihres Kindes.
Es gibt keine Schulreifetests: Jedes Kind eines Geburtsjahrganges hat das Recht, gemeinsam mit den anderen gleichaltrigen Kindern in die Schule zu gehen.
Es gibt kein dreigliedriges Mittelschulsystem (Haupt-, Realschule und Gymnasium), auch kein Kurssystem, sondern: Alle Kinder besuchen eine einheitliche Mittelschule. Am Ende der Schulpflicht erhält jedes Kind eine Bescheinigung, daß es die Schulpflicht erfüllt hat – auch das Kind, das bei uns als geistigbehindert bezeichnet worden wäre. Mit dieser Bescheinigung hat das Kind das Recht, sich in jeden Zweig der Oberschule einzuschreiben. Die Eltern eines geistig behinderten Kindes werden kaum den traditionellen Zweig – Gymnasium – wählen, aber: Luca, ein Junge mit Down-Syndrom, der in diesem Herbst die Mittelschule beendet, hat sich bereits in eine Schule für das Keramikhandwerk eingeschrieben, und er wird sehen, welche Stufe der beruflichen Qualifikation er erreicht (15).
Wenn MILANI-COMPARETTI die Eltern der Säuglinge beriet und seinen Dialog mit dem Kind aufnahm, dann konnte er dies tun in der Sicherheit, daß sein Bemühen um die Förderung der Normalität dieses Kindes nicht mit dem Beginn der Schulzeit abgebrochen würde.
Wenn MILANI-COMPARETTI die Wahrung der Ganzheitlichkeit in den drei Dimensionen der Beziehungen eines Kindes forderte, dann konnte er dies tun, weil er wußte, daß das Kind nicht wegen der fehlenden Sehfähigkeit oder fehlender Motorik bei der Entwicklung anderer Sinnes- oder Körperteile eingeschränkt werden wird. Er wußte, daß dieses Kind mit Sicherheit den gemeinsamen Kindergarten, die gemeinsame Schule mit den Geschwistern oder Nachbarkindern besuchen wird, egal, welche Diagnose er stellt. Er wußte, daß die Entwicklung der Zukunft dieses Kindes für einen langen Zeitraum offen bleibt – zumindest bis zum Ende der Pflichtschulzeit. Die Dimension seiner Entwicklung, die die Zukunft des Kindes betrifft, ist in Italien – zumindest institutionell – nicht eingeschränkt.
Wenn MILANI-COMPARETTI die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnahm, dann konnte er sicher sein, daß die Eltern in dem Maße ihm gegenüber ehrlich waren, wie es ihrem Charakter von Krisenverarbeitung entsprach (16).
MILANI-COMPARETTI begann mit der Förderung der Normalität der Kinder z.T. im Alter von I bis 2 Wochen. Er sah es als eine sehr wichtige Aufgabe an, den Eltern, die wegen der Diagnose einer Behinderung verunsichert waren, wieder Sicherheit zu geben, indem er ihnen bewußt machte, welche Anteile an Normalität dieses Kind hat.
MILANI-COMPARETTI konnte dies tun mit der Sicherheit, daß andere Experten in anderen Gebieten diese Arbeit fortführen; z.B. sein Kollege Otto-Ludwig ROSER, der als Psychologe regelmäßig in die Schulen geht und in Gesprächen mit den Lehrern diesen Lehrern Sicherheit vermittelt. Er bestärkt die Lehrer darin, die Anteile an Normalität – auch der schwerer behinderten Kinder – zu fördern. MILANI-COMPARETTI begann seine Arbeit am Zentrum „Anna Torrigiani“ 1957 in Florenz als die italienische Regelschule noch so selektiv war, wie sein Bruder Don Lorenzo MILANI es mit den Schülern von Barbiana 1967 beschrieb. Die Auflösung des Zentrums „Anna Torrigiani“ nach 1968 wäre mit Sicherheit nicht möglich gewesen, wenn sich in der Zwischenzeit das italienische Schulsystem (neben dem Gesundheitssystem) nicht auch so gewaltig verändert hätte. Lorenzo MILANI – als Pädagoge und Priester – und Adreano MILANI-COMPARETTI – als Mediziner und Psychologe – hatten an dieser Entwicklung einen großen Anteil.
4. Gedanken zur Bedeutung der Arbeiten von MILANI-COMPARETTI für die Integrationsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland
MILANI-COMPARETTI konnte sehr gut deutsch. Für seine Vorträge in Deutschland oder seine Seminare, die er für deutsche Kinderärztinnen in Florenz anbot, gab es keine Sprachbarriere. Er hatte sich vorgenommen, die Zeit seiner Pensionierung u.a. dafür zu nutzen, in Deutschland Entwicklungen mit zu unterstützen, die er vor 20 Jahren in Italien mit anderen zusammen begonnen hatte. Er konnte dabei sicher sein, daß diese Entwicklung in Italien so gefestigt ist, daß ein Rückfall in die alten Institutionen nicht mehr möglich erscheint (17).
In Italien muß die tägliche Praxis in den Ambulatorien, Kindergärten und den Schulen verbessert werden. Dies ist Aufgabe einer jüngeren Generation von Medizinern, Psychologen und Pädagogen.
Die Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft ist ein langer und schwieriger Weg, der sicherlich mindestens ebenso lang sein wird, wie der, Frauen eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Die gesellschaftliche Utopie, an der ich mich orientiere, wenn ich die Nichtaussonderung behinderter Kinder fordere, ist: Menschen sollen um ihrer selbst willen angenommen, geliebt und geachtet werden und entsprechend ihren je individuellen Möglichkeiten gefördert und in ihren Leistungen bestätigt und ermutigt werden. Dies gilt für alle Menschen, für alle Kinder, nicht nur für die Behinderten (18).
Die Umsetzung dieser Utopie bedeutet, jegliche hierarchische Kommunikation abbauen und prinzipiell gleichberechtigte, zugleich die Unterschiedlichkeit der Personen beachtende zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe entwickeln (19).
Wir Erwachsenen stoßen an die Grenzen unseres Denkens und Handelns, wenn wir die oben formulierten Utopien nicht nur auf das pädagogische Handeln mit Kindern beziehen, sondern auch die Gültigkeit für uns selbst zulassen.
Zwei Beispiele: Maria MONTESSORI wurde 1890 als erste Frau in Rom zum Medizinstudium zugelassen. Zuvor war es nicht nur etwas noch nie Dagewesenes, es war auch undenkbar, daß eine Frau Medizin studierte (20).
Ein Blinder soll nicht am Richtertisch sitzen, weil er die Zeugen nicht sehen kann (21). Es erscheint uns undenkbar, daß dieser Mensch andere Kommunikationsformen entwickelt hat, die das Defizit seines Nicht-Sehen-Könnens ausgleichen. Wir haben keine Erfahrungen, in der gleichberechtigten Kommunikation mit behinderten Menschen. Jaques LUSSEYRAN, ein blinder Franzose, hatte in der französischen Widerstandsbewegung eine entscheidende Schlüsselposition. Er wählte die Menschen aus, die in die Widerstandsgruppen aufgenommen wurden. Er hatte gelernt, aus einem Verzögern der Antwort, einer Veränderung der Stimme, dem Geräusch einer fahrigen Handbewegung herauszuhören, welchen Menschen er vertrauen konnte und welchen nicht (22).
Ich komme zurück zu den vier Forderungen MILANI-COMPARETTIs und übertrage sie auf unsere gegenwärtige Diskussion um die Nichtaussonderung behinderter Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Nach meiner Einschätzung stehen wir in einer entscheidenden Phase der Entwicklung: Immer mehr Menschen begreifen, daß es nicht richtig ist, Kinder wegen eines Defizits von den übrigen Kindern abzusondern. Das formale Recht zu sichern, daß auch geistig behinderte Kinder in den Regelschulen zugelassen werden, ist eine notwendige Forderung.
Wenn wir nicht gleichzeitig die Regelschule für alle Kinder verändern, dann ist die Gefahr groß, daß subtilere Formen von Aussonderung entstehen. Aus Angst vor einer solchen Möglichkeit dürfen wir trotzdem nicht zögern, die ersten Schritte zu tun. Maria MONTESSORI hat z.B. ihre Sezierübungen in einem anderen Raum machen müssen als die Männer. Nur die Vorlesungen durfte sie gemeinsam mit den männlichen Studenten hören.
Zu MILANI-COMPARETTIs Forderung: Den Dialog mit dem Kind aufnehmen!
Den Dialog mit dem Kind aufnehmen bedeutet, eine positive Prognose für die Zukunft des Kindes entwickeln. Daß die Aussonderung in Sonderschulen für die Kinder gut sei, davon können die Psychologen, Mediziner und Pädagogen die betroffenen Menschen immer weniger überzeugen (23).
Die Spezialisten sollten sich nicht weiter hinter Testbatterien verstecken, die scheinbar objektiv die Aussonderungspraxis begründen, sondern sie sollten ihre Spezialqualifikationen in den Dialog mit den Kindern, den Eltern und Lehrern einbringen, um in der normalen Umgebung nach den förderlichen Alternativen zu suchen. Wieviel Energie von Experten wird verschwendet für die Suche nach der angeblich richtigen Sonderschule; z.B.: Ist das körperbehinderte Kind auch lernbehindert oder vielleicht sogar geistig behindert? Ist Blindheit oder die Muskelschwäche eines Kindes das entscheidende Defizit?
Dagegen MILANI-COMPARETTIs Standpunkt: Je schwerer ein Kind behindert ist, um so notwendiger braucht dieses Kind die Anregungen einer vielfältigen Umwelt und die Unterstützung der Spezialisten in dieser Situation!
Zur Forderung: Die drei Dimensionen der Beziehungen jedes Kindes respektieren!
Diese Forderung auf die gegenwärtige Diskussion um institutionelle Veränderungen bezogen, heißt: Alle Spezialisten müssen mit der Kooperation beginnen und die Kinder nicht länger in ihre Körperteile und Sinnesorgane zerlegen! Wie Therapien in die tägliche Gruppensituation in Kindergarten oder Schule einbezogen werden können, ohne zugleich jede Alltagssituation wieder zur Therapie verkommen zu lassen, ist eine wichtige Frage, an deren Lösung sich Therapeuten und Sonderpädagogen in gleichberechtigter Kommunikation mit Erzieherinnen und Lehrern beteiligen sollten! (24)
Wie die Zugehörigkeit der behinderten Kinder an den Erfahrungen aller Kinder sichergestellt werden kann, daran muß in den ersten Integrationsschulen sehr intensiv gearbeitet werden (25).
Extrabänke und eventuell sogar gelegentlich Extraräume werden noch akzeptiert werden müssen, wenn wir uns unsere gegenwärtigen Grenzen als Pädagoglnnen eingestehen. Der falsche Anfang wäre es jedoch, zwischen „integrierbaren“ und „nicht integrierbaren“ behinderten Kindern unterscheiden zu wollen.
Die Sonderpädagogen sollten sich nicht weiter nach dem Prinzip des „Alles oder Nichts“ verhalten! Das ist ja gar keine richtige Integration, wenn … und dann werden Forderungen gestellt, die gegenwärtig noch nicht einzulösen sind. Ich komme zurück auf das Beispiel von Maria MONTESSORI. Sie mußte akzeptieren, in einem besonderen Raum zu sezieren, um überhaupt zum Medizinstudium zugelassen zu werden. Wir werden es auch akzeptieren müssen, daß wir in den ersten Integrationsversuchen nicht immer alles zur gleichen Zeit mit allen Kindern gemeinsam machen können, wenn dies überhaupt ein erstrebenswertes Ziel ist. Aber dies ist unser Unvermögen. Wir müssen noch viel lernen. Wir dürfen nicht mehr von der Integrationsfähigkeit oder -unfähigkeit der einzelnen Kinder mit Behinderungen reden, sondern von der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft (26).
Zur Forderung: Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen!
Kein Mensch, der bei uns beteiligt ist an der Stellung von Diagnosen über Kinder, sollte sich wundern, wenn die Eltern bewußt lügen oder versuchen, die Defizite ihres Kindes auch sich selbst gegenüber zu leugnen. Die Diagnose „geistige Behinderung“ wird bei uns immer noch verbunden mit dem Hinweis an die Mutter und den Vater, dieses Kind hätte keine große Lebenserwartung. Oder: Sie können es auch in ein Heim oder zur Adoption geben. Die Eltern sollten sich gar nicht erst zu sehr emotional im dieses Kind binden. Das Kind in ein Heim oder zur Adoption frei zu geben, kann durchaus den eigenen Bedürfnissen der Eltern entsprechen. Es kann aber auch ihr dringendes Bedürfnis sein, eine Beziehung zu diesem Kind und eine Zukunftsperspektive für dieses Kind aufzubauen – unabhängig von der Behinderung. Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen, heißt zunächst: Die Bedürfnisse der Eltern kennenzulernen, zu verstehen, was es in der bestehenden Familienkonstellation bedeutet, ein Kind mit Behinderung zu haben (27).
Der Verein „Eltern für Integration“ (Manfred Rosenberger) und die Gruppe „Eltern beraten Eltern behinderter Kinder“ (Ingelore Gumlich) sind zwei Selbsthilfegruppen, in denen sich betroffene Eltern zusammengeschlossen haben (28). Diese Gruppen brauchen auch die Unterstützung derjenigen, die sich bisher professionell mit behinderten Kindern beschäftigt haben. Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernst nehmen, heißt auch, als Sonderpädagogln, Testpsychologln oder Medizinerln mit den Eltern zusammen zur Schulsenatorin gehen: in der Sicherheit der eigenen Professionalität darstellen, welche Folgen sich für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder (und besonders der geistigbehinderten) aus deren Isolation in die Institution Sonderschule ergeben.
Zur Forderung: Die Normalität der Kinder fördern!
Das heißt konkret: Dem blinden Menschen nicht zum Vorwurf machen, daß er nicht sehen kann und ihm damit die Ausübung eines seiner Bürgerrechte, nämlich die Tätigkeit eines Schöffen, verweigern. Ich unterstelle, daß die meisten Menschen es noch akzeptieren können, wenn gefordert wird, daß ein blinder Mensch auch Richter sein darf. Wie ist es aber mit geistig behinderten Kindern? Es erscheint vielen von uns undenkbar, daß ein geistig behindertes Kind gemeinsam mit allen anderen Kindern lernt. Unsere „Obrigkeit“ läßt aber nicht einmal den Versuch, im Rahmen eines wissenschaftlich begleitenden Modellversuchs, zu (29).
Vielleicht sollte man den Eltern geistig behinderter Kinder raten, sich an den Papst zu wenden. Maria MONTESSORI mußte dies tun, um ihr Medizinstudium zu erstreiten. Der gegenwärtige Papst wird wissen, daß in Italien jedes geistig behinderte Kind das Recht hat, eine Regelschule zu besuchen. Dort, wo die Erfahrungen zugelassen wurden, wurden inzwischen Entwicklungen möglich: die z.B. auch MILANI-COMPARETTI vor fünf Jahren noch als sehr unsicher ansah: In Italien werden Kinder mit geistiger Behinderung in die Regelschule aufgenommen, auch wenn man davon ausgeht, daß sie eventuell nicht lesen, schreiben oder rechnen lernen könnten. Inzwischen ist die Tatsache bewiesen, daß viele dieser Kinder etwa im 3. Schuljahr mit dem Lesen und im S. Schuljahr mit dem Schreiben beginnen, wenn sie das ständige Vorbild der anderen Kinder haben und nicht ständig durch das Trainieren an ihren Defiziten verunsichert werden (30).
Bisher ist noch unklar, wie diese Kinder in mathematischen Zusammenhängen gefördert werden können. Aber in Schulversuchen in Bologna wurde „entdeckt“, daß Kinder mit geistigen Behinderungen z.T. sehr geschickt mit Rechenautomaten oder Computern umgehen können (31). Das Defizit Nicht-Rechnen-Können darf nicht als Begründung dafür herhalten, bei diesen Kindern die vielen anderen Dimensionen ihrer Normalität verkümmern zu lassen!
MILANI-COMPARETTI vereinigte in seiner Person seinen eigenen Anspruch an Ganzheitlichkeit:

  • Als Theoretiker und Wissenschaftler war er sehr präzise und anspruchsvoll und in der Auseinandersetzung mit Fachkollegen oft hart und unerbittlich.
  • Zugleich war er den Menschen zugewandt, weich und emotional, jeden Dialog zulassend.

Er war einer der Menschen, die das Problem der Trennungen zwischen Theorie und Praxis bewältigt haben: Er hat sich den Respekt und die Anerkennung seiner Fachkollegen erarbeitet und zugleich den Dialog mit allen Menschen in der Praxis nicht abgebrochen. Er brauchte den Praktikern, mit denen er kooperierte (Therapeuten, Hebammen usw.) nie Theoriefeindlichkeit vorzuwerfen, weil er seine Theorie in der Praxis so vermittelt hat, daß sie überzeugte. Ich bin ganz sicher, daß in Italien nach dem Tod von MILANI-COMPARETTI seine Arbeit weitergeführt wird; es gibt dort viele Menschen, die in den letzten Jahren mit ihm zusammengearbeitet haben und mit ihm gemeinsam junge Kolleginnen und Kollegen ausbildeten. Wir in Deutschland hätten die Anregungen und Ermutigungen von MILANI-COMPARETTI noch gut gebrauchen können. Ich bin aber auch optimistisch, daß es hier genügend Menschen gibt, die immer klarer erkennen, was anders werden muß, was wir unseren Kindern nicht mehr länger zumuten können.

Anmerkungen
(01) Neben den von MILANI-COMPARETTI oder über seine Arbeit vorliegenden Veröffentlichungen war mir eine nicht veröffentlichte Examensarbeit von Eckhard JÄGER eine wichtige Grundlase für diese Ausarbeitung. Eckhard JÄGER hat 1985 das I. Staatsexamen im Fachbereich Sonderpädagogik in Tübingen abgeschlossen mit der Arbeit: „Die Methode der Früherkennung und Prävention körperbehinderter Kinder von Prof. Milani-Comparetti“. Er hatte für diese Arbeit von MILANI-COMPARETTI die englisch- und italienischsprachigen Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt bekommen, die MILANI-COMPARETTI als die wesentlichsten ansah (siehe Literaturliste). MILANI-COMPARETTI arbeitete in enger Kooperation mit dem Psychologen ROSER und den Medizinerinnen GIDONI und FANTINI; auch seine Veröffentlichungen sind meistens das Ergebnis dieser Kooperation. In dem Vortrag spreche ich nur von MILANI-COMPARETTI: Er ist gestorben; die Kolleginnen und Kollegen werden die gemeinsame Arbeit weiterführen.
(02) MILANI-COMPARETTI,A. In: BUCH, Andrea u. HEINECKE, Birgit: An den Rand gedrängt. Hamburg: 1980, S. 137-138.
(03) In: WUNDER, M. u . SIERCK, U.: Sie nennen es Fürsorge. Berlin, 1982, S. 82, dort auch die Skizze.
(04) Das Gespräch, das ich am 6.3.1982 gemeinsam mit zwei Studentinnen aus Berlin und einem Sonderpädagogik-Studenten aus Reutlingen mit MILANI-COMPARETTI führte, wurde auf Tonband aufgenommen. Anhand des Tonbandmitschnittes fasse ich den Inhalt zusammen. Wo die Aussagen wörtlich wiedergegeben werden, ist dies entsprechend gekennzeichnet.
(05) In: WUNDER, M. u. SIERCK, U., a.a.O., S. 78/79
(06) In: JÄGER, E., a.a.O., S. 128-132.
Eine Mutter, die an einer meiner Exkursionen teilgenommen hatte, fuhr mit ihrer schwerbehinderten Tochter zu MILANI-COMPARETTI, da keiner der zahlreichen deutschen Mediziner, die sie zuvor besucht hatte, ihr eine eindeutige Diagnose sagen konnte. Zweierlei hob sie bei ihrem Bericht über die Visite bei MILANI-COMPARETTI hervor: Zum ersten Mal fühlte sie sich als Mutter ernst genommen. Er hatte sich mit ihr darüber unterhalten, wie es ihr während der vergangenen acht Jahre gegangen war. Die Diagnose: Es handelt sich um eine schwer progressive Erkrankung. Das war die Aussage, um die sich zuvor alle Spezialisten gedrückt hatten. MILANI.COMPARETTI 11ab dieser Mutter aber auch den Mut, die Medikamentenbehandlung nach und nach abzusetzen, die das Kind in einem dauernden Dämmerzustand gehalten hatte. Die Mutter erlebt das Kind, das von ständiger Pflege abhängig ist und nicht sprechen kann dadurch als Mensch, daß es lächelt oder weint, tröstbar ist, seiner Mutter zeigen kann, wann es sich wohlfühlt.
(07) In: ALY/ALY/TUMLER: Kopfkorrektur – oder der Zwang gesund zu sein. Berlin, 1981, S. 29f.
(08) WUNDER, M. u. SIERCK, U., a.a.O., S. 84
(09) BASAGLIA, F.: Die negierte Institution oder: Die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen. Frankfurt/M. 1973.
(10) HARTUNG, M.: Die neuen Kleider der Psychiatrie. Berlin 1980.
(11) vgl. SCHÖLER, Jutta (Hrsg.): Schule ohne Aussonderung in Italien. Eine Exkursionsgruppe berichtet von ihren Erfahrungen. Berlin 1983.
(12) Scuola di Barbiana. Berlin 1970, S. 39/40, Originalausgabe : 1967. Über die Entstehungsgeschichte dieses Buches und die Auswirkungen auf die italienische Schulreform siehe: BRINK Lisa, THIES, Leonore (unter Mitarbeit von Gerd Iben): Nachforschungen in Barbiana. Weinheim: Beltz Verlag, 1984. Lorenzo MILANI schrieb einen Monat nach der Veröffentlichung: Das Buch ist „Frucht der Jugendlichen, außer meiner Regie (aber der Regie eines armen alten Sterbenden). ( … ) Es ist notwendig, daß eine oder zwei Zeitungen klarstellen, daß diese Arbeit von den Jugendlichen ist. Daß dies eine neue Art zu schreiben ist, und daß sie die einzigwahre und ernsthafte ist. Was als sehr persönlicher Stil Don MLANIs erscheint, ist nur das monatelange Verweilen an einem Satz, um allmählich alles wegzustreichen, was man wegstreichen kann. Alle können so schreiben, wenn sie wollen! Es ist nur ein Problem des Nichtfaulseins.
An diesem Buch könnten wir noch monatelang arbeiten und es zu einem gründlichen Meisterwerk werden lassen, aber wir schreiben über Dinge, die zu schnell veralten. Deswegen haben wir uns entschlossen, es so, wie es ist, herauszugeben. (Milani, zit. n. Gesualdi, 1979, S. 274), siehe BRINK, L. u.a., S. 95.
(13) Vergl. ARNOLD, E.: Unterricht und Erziehung im italienischen Bildungswesen. Weinheim: Beltz Verlas, 1981, S. 97; Durchschnittswerte 1977: 1.-5. Klasse: 17,0 Schüler pro Klasse, 6.-8. Klasse: 22,6 Schüler pro Klasse und 9.-13. Klasse: 23,7 Schüler pro Klasse. Nach meinen Beobachtungen aus den Jahren 1982-1986 wegen rückläufiger Schülerzahlen: Frequenzen weiter gesunken. Gesetzlich fixierte Höchstfrequenz: 25 Kinder pro Klasse; wenn ein behindertes Kind dabei ist: Höchstfrequenz: 20 Kinder.
(14) Vergl. SCHÖLER, Jutta: Integration behinderter Kinder in Regelschulen macht Kooperation von Lehrerinnen notwendig! In: Zeitschrift für Kooperative Pädagogik (1985)2, S. 36-45.
(15) Über Lues berichtet auch Otto-Ludwig ROSER: Die Förderung der Normalität der behinderten Kinder. Gastvortrag, abgedruckt in: Ulf PREUSS·LAUSITZ, Uwe RICHTER und Jutta SCHÖLER (Hrsg.): Integrative Förderung Behinderter in pädagogischen Feldern Berlins: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven. TU Berlin-Dokumentation Weiterbildung. Berlin 1985, Heft 12, S. 72-86. In demselben Sammelband berichtet Otto-Ludwig ROSER über den Übergang von der Schule in den Beruf: „Gemeinsam leben -gemeinsam arbeiten“, s.o., S. 87-90.
(16) In Deutschland verleugnen Eltern die Behinderung häufig deshalb, weil sie nicht wollen, daß eine bestimmte Festschreibung zu einer späteren Sonderschulüberweisung führt.
(17) Dies ist auch die Einschätzung, die Alfred SANDER aufgrund seiner Studienreisen nach Italien gewonnen hat. Vergl. Sander, A.: Ein zweiter Besuch in Volterra. In: Zeitschrift BEHINDERTENPÄDAGOGIK, 24(1985)1. S. 53-59, bes. S. 57.
(18) Vergl. Jutta SCHÖLER: Hauptreferat zur Tagung: Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam in Schulen. Februar 1985, Bad Tatzmannsdorf, Österreich. Tagungsbericht anzufordern beim Verein „Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam in Schulen“. A 7411 Mark Allhau 5 (Österreich).
(19) Vergl. hierzu : WATZLAWICK, P., BEAVIN, J.H. u. JACKSON, D.D .: Menschliche Kommunikation. Bern 1969.
(20) Vergl. KRAMER, Rita: Maria Montessori. Biographie mit einem Vorwort von Anna Freud. Frankfurt/M. 1983. „An der technischen Schule (die Maria Montessori vor ihrem Studium besucht hatte/J. Sch.) wußte niemand, was man in den Pausen mit den Schülerinnen anfangen sollte – sie konnten sich nicht unter die Jungen mischen und mußten vor Hänseleien geschützt werden, also brachten sie die Pausen in einem Raum zu, in dem man sie absonderte.“ (S. 40).
„Sie mußte nicht nur auf dem Weg zur Universität und wieder nach Hause begleitet werden; sie durfte auch den Vorlesungssaal erst betreten, nachdem die anderen Studenten ihre Plätze eingenommen hatten. Eine junge Frau konnte sich anständigerweise in engem Kontakt mit Männern nicht frei bewegen“ (S. 49).
„Da es undenkbar war, daß Männer und Frauen zusammen einem nackten Körper ausgesetzt werden konnten, und sei es eine Leiche, durfte sie nicht mit den anderen Studenten zusammen an Sezierkursen teilnehmen. Statt dessen richtete man es so ein, daß sie nach Dienstschluß ins Anatomiegebäude kommen durfte, wo sie am Abend an den Leichen arbeiten konnte“ (S. 49/50). Noch 1912 hatten die Medizinstudentinnen in Berlin einen eigenen Sezierraum (S.44). Maria MONTESORRI soll es erst dem Eingreifen von Papst Leo XIII zu verdanken gehabt haben, daß ihr gestattet wurde, Medizin zu studieren (S. 42).
(21) „Aufmacher“ in der „BZ“ vom 3.5.1986 –  S. 1 und S. 7: Nach telefonischer Auskunft der Schöffenstelle des Kriminalgerichts Moabit hat das Gericht den Befangenheitsantrag wegen der Teilnahme des blinden Schöffen abgewiesen. Die neueren Rechtskommentare sehen in der Blindheit eines Schöffen keinen Revisionsgrund.
(22) LUSSEYRAN, 1.: Das wiedergefundene Licht. Autobiographie eines Menschen, den seine Blindheit sehen lehrte. Berlin 1981. LUSSEYRAN erblindete als Siebenjähriger, besuchte aber in den dreißiger Jahren in Paris immer „normale“ Schulen und Universitäten. Er gehört zu den wenigen Überlebenden des KZ Buchenwald und lehrt heute als Psychologieprofessor in den USA.
(23) Immer mehr empirische Untersuchungen belegen die Entwicklungshemmungen, die für die betroffenen Kinder aus der Sonderschulüberweisung resultieren. Vergl.: PREUSS-LAUSITZ, U.: Fördern ohne Sonderschule. Weinheim 1981; dort weitere Literatur- und: MERZ, K.: Sanderbeschulung oder Fördermaßnahmen an Grundschulen? Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung. In: „der Kinderarzt“, 16(1985)10, S. 1367-1373. – ders.: Ist das lernbehinderte Kind eine qualitativ andersgeartete Persönlichkeit‘? In: Zeitschrift „der Kinderarzt“, 16(1985)11. S. 1524-1526. – ders.: Ist die Sanderbeschulung hilfreich für Kinder mit Lernschwierigkeiten? Empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen der Sonderbeschulung. ln: Zeitschrift .,der Kinderarzt“, 16(1985),12, S. 1689-1692; Diskussionsbeiträge dazu in Heft 4/1986 der Zeitschrift „der Kinderarzt“.
(24) Vergl. hierzu die Beiträge von ALY, Monika: In: Wunder, M. (Hrsg.): a.a.O. und In: Aly, Monika, Aly, G. u. Tumler, Dorlind und in Buch u.a. (s.o.).
(25) Vergl. VAL TIN, Renale, SANDER, A. und REINARTZ, A. (Hrsa.): Gemeinsam leben –gemeinsam lernen. Frankfurt/M. 1984; zu bestellen für 20,- DM (Studierende 10,- DM) bei: Arbeitskreis Grundschule e.V ., Postfach 900148, 6000 Frankfurt/M. 90.
(26) Vergl. FEUSER, G.: Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder (Integration) als Regelfall?! In: Zeitschrift BEHINDERTENPÄDAGOGIK, 24(1985)4, S. 354-391; dort weitere Literatur.
(27) Alfred SANDER verweist darauf, daß in der Bundesrepublik Deutschland – verglichen mit anderen Nationen- immer noch an der medizinischen Einzeldiagnose von Behinderung festgehalten wird. Er fordert: „Eine ökologische Klassifikation, die ernsthaft von den needs des einzelnen behinderten Menschen in seiner Umwelt ausgehen will, hat zur Voraussetzung, daß auch der Betreffende selbst dem Expertenteam angehört, welches die needs feststellt und die services zuteilt. Der behinderte Mensch sollte endlich als bester Experte für seine Bedürfnisse in seiner subjektiven Umwelt anerkannt werden! (…) oder, wenn er noch sehr jung ist, seine Eltern eine gewichtige Stimme bei der Planung, Durchführung und Evaluation des Programmes‘ (Hobbs 1975) haben.
Ich denke, daß zum Mitspracherecht der Eltern z.B. auch die Entscheidung darüber gehört, ob sie ihr behindertes Kind in eine Regelschule oder in eine Sonderschule einschulen wollen. (…) Ohne ein solches elterliches Entscheidungsrecht scheint mir eine ökologische, bedürfnisorientierte Sonderpädagogik kaum möglich“ (S. 28). In: SANDER, A.: Das Problem der Klassifikation in der Sonderpädagogik: Ein ökologischer Ansatz, Vierteljährigezeitschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 54(1985)1, S. 15-31. .
(28) GUMLICH, Ingelore und TESCHNER, Viola: Veränderte Formen der Zusammenarbeit mit Eltern behinderter Kinder. In: Preuss-Lausitz, Ulf/Richter, Uwe/Schöler, Jutta (Hrsg.): Integrative Förderung Behinderter in pädagogischen Feldern Berlin (s.o.), S. 29-35.
ROSENBERGER, M.: Über die Bundesarbeitsgemeinschaft „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“. In: päd:extra, Heft 5/1986,S. 16- 18.
(29) Vergl. den Bericht über die Uckermark-Grundschule in Berlin von ECK, Christa, FROST, Karin, HEYER, P. u.a.: In: Valtin u.a. (Hrsg.): a.a.O., S. 139-188.
(30) Hierzu wird ein ausführlicher Bericht von mir in päd:extra, Heft 7/8,1986,erscheinen.
(31) An Grundschulen in Ravenna und Bologna werden z.Z. entsprechende Schulversuche unter der wissenschaftlichen Begleitung von Andrea CANEVARO und Nicola CUOMO durchgeführt. Schriftliche Berichte liegen noch nicht vor.

Literatur von Andreano Milani-Comparetti
Deutschsprachige Veröffentlichungen:
MILANI-COMPARETTI, A.: Integration – Wunsch und Wirklichkeit. In: Buch, Andrea, Heinecke, Birett u.a.: An den Rand gedrängt. Hamburg 1980, S. 137- 145 (Vortrag – Berlin 1979), rororo Taschenbuch.- MILANI-COMPARETTI, A. und ROSER, L.O.: Förderung der Normalität und der Gesundheit in der Rehabilitation – Voraussetzungen für die reale Anpassung behinderter Menschen. 1n: Michael Wunder und Udo Sierck: Sie nennen es Fürsorge – Behinderte zwischen Vernichtung und Widerstand. Berlin 1982 (Vortrag – Gesundheitstag Hamburg 1981).
Englischsprachige Veröffentlichungen:
MILANI-COMPARETTI, A. und GIDONI: Pattern Analysis of Motor Development and its Disorders – Routine Developmental Examination in Normal and Retarded Children. ln: Develop. Med. Child Neur. vol. 9, 5 October 1967. – MILANI-COMPARETTI, A . : The Neurophysiologie and Clinical Implications of Studios on Fetal Motor Behavior. In: Sem. in Perinat, vol 5, 2 April 1981.

Italienischsprachige Veröffentlichungen:
MILANI-COMPARETTI, A. und GIDONI: Significato della semeiotica reflessologia per Ia diagnosi neuro evolutiva. ln: Neuropsichiatria Infantile; fase. 121, Aprile 1971. – dies.: Dalla parte del rilonato: Proposte per una competenza prognosticala: Neuropsichiatria Infantile: fase. 175, Gennab 1976. – dies.: Semeiotica neurolocica per Ia pro&nosi; Vlll Congresso nationale d•lia Societa ltaliana die Neuropsichiatria Infantile, Firenze, 1-4 Ottobre 1980. – MILANI-OMPARETTI, A.: Le propostedel bambino; Simposio su : 11 bambino come comucazlone, Mllano 3- 5 Ottobre 1980.- ders.: Protagonismo e idetiti dell‘ essere umano nel processo ontogenitico ;Gior· nate Italo-Americane di Ultrasonografia, Assisi, 25- 2 7 Marzo 1982. – ders.: interazione fra sistema scolastico e sanitario. ln: salute e territorio ; fasc. 3, Maggio-Glugno 1983.
Die Verweise auf italienisch- und englischsprachige Veröffentlichungen von MILANI-COMPARETTI sind entnommen: der nicht veröffentlichten Wissenschaftlichen Hausarbeit von Eckhard JÄGER:
Die Methode zur Früherkennung und Prävention körperbehinderter Kinder von Prof. Dr. A. MILANI-COMPARETTI , Fachbereich Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen, 1985.
Bericht über die Arbeitsweise von MILANI-COMPARETTI. In: Monika Aly, Götz Aly, Morlind Tumler: Kopfkorrektur – oder der Zwang gesund zu sein. Berlin (Rotbuch) 1981
Eindrücke über die Entwicklung des italienischen Schulsystems vermitteln: Scuola di Barbiana. Die Schülerschule – Brief an eine Lehrerin. Berlin (Rotbuch) 1970, Originalausgabe 1967 (der Initiator, Lehrer und „Vater“ von Barbiana war Don Lorenzo Milani – ein Bruder von Adreano Milani-Comparetti); BRINK, Lisa u. THIES, Leonore (unter Mitarbeit von Gerd Iben): Nachforschungen in Barbiana. Weinheim u. Basel: Beltz 1984. – SCHÖLER, Jutta (Hrsg.): Schule ohne Aussonderung in Italien. Berlin (Guhl-Verlag) 1983.

Vorbemerkungen

Im Rahmen der Ringvorlesung »Psychische Entwicklung und Behinderung« an der Freien Universität Berlin im Sommersemester 1986 (Prof. Dr. Martin Hildebrand Nilshon als Initiator) war für den 06.05.1986 ein Vortrag von Prof. Dr. Adreano Milani-Comparetti vorgesehen. Bei dem hier vorliegenden Text handelt es sich um die Überarbeitung des nach Notizen gehaltenen Vortrages.

Zu meinen Motiven, diesen Vortrag zu halten: In meiner eigenen Entwicklung gehört der 1986 überraschend verstorbene Adreano Milani-Comparetti zu den Menschen, die mir Sicherheit gegeben haben. In wenigen, sehr intensiven Gesprächen hat er mir bewusst gemacht, welche falschen Fragen ich immer noch stelle und zugleich hat er mir die Sicherheit gegeben, eigene Wege hier in Berlin zu suchen, um auch für unsere Kinder (ob behindert oder nicht behindert) ein breiteres Spektrum an Normalität zuzulassen.6

Milani-Comparetti hat 1979 in Berlin zum zwanzigjährigen Bestehen des Bundesverbandes für spastisch Gelähmte und andere Körperbehinderte gesprochen und seine Entwicklung weg von aussonderndem und hin zu integrativem Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung dargestellt:

Ich selbst hatte 1958 damit begonnen, mich mit den Behinderten zu beschäftigen und habe an dem Aufbau und der Gestaltung der ersten Einrichtungen in Florenz mitgearbeitet. Diese Einrichtungen hatten ihren Erfolg in den sechziger Jahren. Im Jahre 1958 wurde ich Direktor des Centro di Educazione Motoria »Anna Torrigiani« in Florenz. Dieses war eine Tages-und Heiminstitution für die Rehabilitation von CP-Kindern.

Es ist unmöglich, hier einen vollständigen Bericht unserer Aktivitäten während der ersten zehn Jahre zu geben. Während dieser Zeit wurden viele neue Hilfsmaßnahmen und Spezialschulen geschaffen sowie Schulungskurse für Sonderlehrer und Therapeuten; all dies wurde ausgeführt mit der Überzeugung, dass dies das Beste war, was wir für die Kinder tun können.

Dies basierte auf der überkommenen Illusion, dass eine Behandlung zuerst die Behinderung vermindern müsste, so dass dann später ein normales Leben möglich würde. Dagegen möchte ich jetzt betonen, dass Rehabilitation mit dem Einbeziehen in das normale Leben beginnt und ohne dies zum Scheitern verurteilt ist. Die Aussonderung ist in sich selbst eine Behinderung. Ich meine nicht unbedingt körperliche Einschließung, sondern die subtile Art von Aussonderung, die heimlich in so mannigfacher Weise die diagnostische Prozedur bildet, wie man den Eltern die Behandlung ihres Babys erklärt oder die Wahl einer Behandlungsmethode begründet. Das ganze Leben eines Behinderten kann in solcher Weise durch Behandlung bestimmt werden, dass es unausweichlich zur Aussonderung hinführt. Von allen neugeborenen Kindern ist es das behinderte, dem es passieren kann, dass es seine Mutter wochenlang nicht sieht, obwohl es eigentlich mehr menschlichen Kontakt benötigt. Es kann sein, dass es, weil es ja in der Säuglingsklinik bleiben muss, weniger menschlichen Kontakt bekommt, als das schon glückliche normale Baby. Es wird dann medizinische Behandlung erfahren, manchmal isoliert von seiner Familie im Krankenhaus und in Behandlungszentren. Es wird zum Zwecke der Behandlung aus seinem Leben herausgegriffen und wird seine Laufbahn in speziellen Behandlungszentren und Sonderschulen fortsetzen. Dieses Kind wird immer das nie erreichbare Ziel verfolgen, so normal zu werden, dass es endlich in die Gesellschaft integriert werden kann. All das macht das Kind zu einem ›Behinderten‹ an Stelle eines Menschen, der eine Behinderung hat, macht ihn zu einem andersartigen und besonderen Menschen, setzt ihn außerhalb der Gemeinschaft und bereitet so seine endgültige Zurückweisung aus der Gesellschaft vor. Wenn endlich die langerwartete Integration möglich erscheint, ist das Kind älter und die Barrieren sind viel schwieriger zu überschreiten, und die Gesellschaft macht das Versagen akzeptabel, indem sie goldene Käfige bereitstellt. Wir brauchten in Florenz zehn Jahre um zu verstehen, dass dieser Ansatz eine Illusion war, um zu erkennen, dass die Sozialisation des Behinderten nicht ein Ziel für die Zukunft, sondern ein Mittel für die Rehabilitation selbst ist« (Milani-Comparetti, 1980, S.137f.).

Grundforderungen

In der Zeit von 1979 bis 1982 wurden für schwerer behinderte Kinder akzeptable Betreuungsmöglichkeiten außerhalb des Zentrums gefunden. Danach war die berufliche Tätigkeit von Milani-Comparetti und seinen MitarbeiterInnen (Ich schreibe MitarbeiterInnen, GeburtshelferInnen, wenn ich deutlich machen will, dass es sich bei den Personen um Männer und Frauen handelt.) geprägt durch die Zweiteilung: einerseits Basismediziner in einem Ambulatorium als zuständige Kinderärzte – mit dem vorrangigen Ziel der Suche nach Normalität und auf der anderen Seite (dennoch) das möglichst frühzeitige Erkennen von Störungen innerhalb der psychomotorischen Entwicklung und die daraus folgende Beschäftigung mit dem Kind und seinen Bezugspersonen.

Milani hat sich – gemeinsam mit GeburtshelferInnen sehr intensiv mit der Entwicklung der kindlichen Motorik beschäftigt. Er sprach von der »Sprache der Motorik«, die sich von der 10. bis zur 20. Schwangerschaftswoche entwickelt. Aus diesen Beobachtungen konnte er ableiten, dass Bewegungsmuster, die aufgrund von Störungen im Zentralnervensystem bisher als pathologisch bezeichnet wurden, in frühen Phasen der menschlichen Entwicklung durchaus funktional waren. Beim spastisch behinderten Kind fehlen Bewegungsmuster. Es konnten keine funktionalen Alternativen aufgebaut werden.

Aus Milanis theoretischen Arbeiten zur Früherkennung von Körper­behinderungen folgen vier Forderungen für die Praxis von MedizinerInnen, TherapeutInnen und PädagogInnen:

1. den Dialog mit dem Kind aufnehmen

2. die drei Dimensionen der Beziehungen jedes Kindes respektieren

3. die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen

4. die Normalität der Kinder fördern

Zu 1: Den Dialog mit dem Kind aufnehmen!

Milani nahm die Kinder so ernst, dass er sie nicht in eine Testsituation brachte. Er sagte zum Beispiel: »Früher wurden Sprungbereitschaftsreaktionen vom Untersucher ausgelöst; heute sieht man am Sitzen, dass die Sprungbereitschaftsreaktion vorhanden ist.« Während Milani sich mit den Eltern unterhielt, nahm er mit dem Kind langsam durch Schnalzgeräusche, Mimik oder Gestik die Kommunikation auf. Er vertrat den Standpunkt, es sei Aufgabe des Untersuchers, als Spezialist die »vorschlagende Identität« des Kindes zu erkennen. Es ist nicht der Erwachsene, der die Vorschläge macht und das Kind hat irgendwie zu reagieren, sondern: Der Erwachsene muss auf die Vorschläge des Kindes reagieren und mit ihm in einen Dialog treten. Dazu gehört, dass immer gegenseitige Mitteilungen ermöglicht werden müssen.

»Unsere Aufmerksamkeit ist also nicht so sehr auf das Studium der Antworten als auf das Studium der Vorschläge zu lenken, und das bedeutet, die reizgebende Arbeitsweise

zu verlassen. Reize gibt man Versuchstieren, aber nicht Kindern; denn die reflexen Mechanismen und Antworten sind gerade die Negation der Botschaft, die wir erhorchen, und der Mitteilung, die wir fördern, und des Dialogs, den wir beginnen wollen. Reiz und Antwort erschöpfen sich gegenseitig und schließen einen Kreis, der zweidimensional bleibt und die dritte Dimension der Entwicklung und des Schöpferischen ausschließt« (Wunder & Sierck, 1982, S. 82).

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Abbildung 1 (Wunder & Sierck, 1982, S.82)

Zu 2: Die drei Dimensionen der Beziehungen jedes Kindes respektieren!

1. Ganzheitlichkeit seiner Person

2. Zugehörigkeit des Kindes zur Außenwelt

3. Entwicklung, die seine Zukunft betrifft

Im Gespräch mit Milani berichtete ich von einem Jungen mit einer spastischen Behinderung in den Armen und den Beinen, der mit etwa zehn Jahren zum ersten Mal in seinem Leben allein schaukelte und dabei offensichtlich glücklich war.7

Der Körperbehindertenpädagoge, der dem Gespräch zugehört hatte, griff das Beispiel auf: Beim Schaukeln lernen diese Kinder völlig falsche Bewegungsmuster. Wenn die nicht rechtzeitig vermieden werden, ist es für immer zu spät. Das Kind kann einen Rundrücken kriegen und die Hand ganz verkümmern.

Milanis Antwort: »Wie gut, dass das Kind endlich einmal das angenehme Gefühl hatte zu schaukeln.«

»Es gibt keine falschen Bewegungsmuster: Wenn wir isoliert die Haltung des angewinkelten Armes bei diesem Kind sehen und erschrecken vor der uns verkrampft erscheinenden Haltung, dann können wir überhaupt nicht wahrnehmen, dass das Kind im gleichen Moment eventuell die Beine anhebt, um nicht im Schwung auf dem Boden anzustoßen.«

»Für die Haltung des Armes gibt es Alternativen. Es gibt gute und schlechte Alternativen. Aufgabe der Therapeutin in einer solchen Situation wäre, dem Kind die guten Alternativen zu zeigen.«

Wir müssen die ganzheitliche Dimension der Person des Kindes beachten: Arme und Füße zugleich sehen, den Dialog aufnehmen und an den Augen, dem Lachen oder der Mimik erkennen, dass es Spaß macht.

»Für ein Kind ist es schlimmer, nicht schaukeln zu dürfen als keinen Arm zu haben.«

Zur Außenwelt eines normalen Kindes gehört es, auf einen Spielplatz zu gehen und zu schaukeln. Dort trifft es andere Kinder, knüpft Beziehungen. Aber stellen Sie sich bitte vor, was es für das Kind, seine Eltern oder die Erzieherin im Kindergarten bedeutet, wenn es ihm wegen angeblich pathologischer Armhaltung verboten wird zu schaukeln.

Der Körperbehindertensonderpädagoge entgegnete Milani, es sei doch möglich, dass das Kind sich verkrampft oder von der Schaukel fällt.

Milanis Antwort: »Wenn Erwachsene diese Angst haben, und zugleich erkennen, dass das Kind schaukeln will, dann müssen wir uns eine Schaukel einfallen lassen, aus der das Kind nicht herausfallen kann oder es in der Schaukel anschnallen. Unserer Erwachsenenängste wegen einem Kind all die Erfahrung nehmen, die es beim Schaukeln machen kann, bedeutet, seine Entwicklung hemmen.«

Bei der Vorbereitung dieses Vortrages ist mir erst bewusst geworden, dass Milani meinen Gesprächsbeitrag aufgenommen hatte, um die folgende Textstelle deutlich zu machen:

»Um besser zu verstehen, was Gewalt gegen das Kind ist, muss man versuchen, seine Bedürfnisse zu analysieren. Um dies zu vereinfachen, könnte man von der Unterscheidung der drei interaktiven (zueinander in Beziehung stehenden) Dimensionen ausgehen, in denen es lebt:

1. die ganzheitliche Dimension seiner Person,

2. die Dimension seiner Zugehörigkeit im Verhältnis zur physischen und menschlichen Außenwelt,

3. die Dimension seiner Entwicklung, die seine Zukunft betrifft.

Die traditionelle Medizin, die wir anfechten, und ganz besonders die rehabilitative Medizin, stellte wegen ihrer Kontinuität einen Missbrauch, eine Gewaltaktion dar, weil sie das reale, in diesen drei Dimensionen lebende Individuum zerbricht und stattdessen die Vorstellung eines nichtexistierenden Wesens anbietet. Die Medizin der Vergangenheit ist in der Tat

1. charakterisiert durch fachliche Teilhaftigkeit (ital. settorialità), d. h. sie sieht und behandelt das Kind in der Unterscheidung von gesunden und kranken Teilen,

2. isolierend, denn sie behindert seine sozialen Beziehungen und

3. entwicklungs-feindlich, weil es seine Zukunft nicht einbezieht.

Dies gilt für sogenannte Heilpädagogik, ebenso wie für die Bereiche der Psychologie und der Pädagogik, die dieser die Hand reichen: der mit dem Ausdruck defekt betont charakterisierte Einsatz, der dem Reparaturbedürfnis und dem Erziehungswillen des Erwachsenen gegenüber dem Kinde entgegenkommt, zerstört im allgemeinen die Harmonie im Zusammenspiel der drei genannten Dimensionen mehr als es der Defekt selbst getan hätte. Noch allgemeiner könnte man sagen, dass es typisch für unsere Kultur gewesen ist, die Erziehung des Kindes auf dem Mißtrauen für das Gelingen seiner Zukunft aufzubauen« (Wunder & Sierck, 1982, S. 78f.).

Zu 3: Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen!

Wie wichtig für Milani die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder waren, will ich an einem Bericht von Eckhard Jäger über die Visiten im Zentrum Anna Torrighiani deutlich machen:

»Zuerst einmal geht es Milani-Comparetti darum, sich möglichst genaue Vorinformation zum aktuellen Anlass des Besuches und zum bisherigen Lebens- und Leidensweg des Kindes zu verschaffen, noch bevor er mit den Eltern und dem Kind Kontakt aufgenommen hat. […]

Nach dieser Vorbereitung beginnt die eigentliche Visite. Im Gespräch mit den Eltern geht es nicht so sehr um medizinische Anamnesedaten – […] Katastrophenmedizin, sondern an erster Stelle steht das konkrete Problem, wie es sich den Eltern jetzt stellt bzw. in der vergangenen Zeit stellte. Ist die Tochter oder der Sohn, um die es ja eigentlich geht, in der Lage, sich irgendwie verständlich zu machen, beschränkt sich das Gespräch natürlich nicht nur auf die Eltern und Prof. Milani-Comparetti. Allein in der Mehrzahl der Fälle spielt sich das Gespräch wirklich nur zwischen den Erwachsenen ab. Dabei vermittelt Prof. Milani-Comparetti durch sein Verhalten den Eltern die Gewissheit, dass sie von ihm absolut und uneingeschränkt ernst genommen werden! Die Position der Eltern ist hier nicht die des Unwissenden (der Arzt weiß alles, die Eltern haben von der Medizin keine Ahnung), nicht die der passiven Empfangenden (der Arzt allein sagt, was die Eltern alles tun müssen) und nicht die der Verurteilten (die Eltern erfahren unterschwellig eine Schuldzuweisung für die Krankheit des Kindes). Die Gesprächsatmosphäre bestärkt die Eltern ganz automatisch in ihrem Gefühl, zusammen mit ihrem Kind die Hauptakteure der Bahnung von Normalität zu sein. Die Gewissheit der Eltern, selbst mitwirken zu können bei der Aufgabe, dem Kind alle Möglichkeilen zu geben, mit seiner Behinderung zurechtzukommen und sein Leben so gut es geht selbstständig zu gestalten, ist eine zentrale Voraussetzung bzw. bereits der erste Schritt in Richtung der Normalität. Die Eltern werden dadurch viel aktiver, sie zeigen viel mehr Einfallsreichtum, was die Lösung irgendwelcher konkreten Probleme des Alltags angeht; einfach dadurch, dass sie sich verantwortlich fühlen für das Wohlergehen ihres Kindes. Diese Gleichwertigkeit der Gesprächspartner im Beratungsgespräch, das gemeinsame Suchen einer Lösung des Problems negiert natürlich nicht die höhere medizinische Sachkenntnis von Prof. Milani-Comparetti. Aber dieser Unterschied innerhalb der Fachkompetenz wird hier nicht missbraucht für ein unbegründetes und auf jeden Fall unangebrachtes Positionsgefälle zwischen Arzt und ›Patient‹. Milani-Comparetti versteckt sich nicht hinter seiner neuropsychiatrischen Kompetenz. […]

Er erklärt z. B. den Eltern, warum diese oder jene Bewegungsweise für die motorische Entwicklung des Kindes sinnvoll ist oder weshalb auf bestimmte Punkte beim

Sitzen oder Liegen geachtet werden sollte etc. Die Eltern ihrerseits haben vielleicht gegen den einen oder anderen Vorschlag irgendwelche Bedenken einzuwenden. Schließlich wird das gemeinsame Beraten zu irgendeiner Lösung führen, die einerseits vom klinischen Gesichtspunkt aus betrachtet, die Verbesserung der Lage des Kindes verspricht und die andererseits von den Eltern akzeptiert werden kann und daher auch in die Tat umgesetzt wird. […]

Sollen die Eltern die Verantwortung für das Wohlergehen ihres eigenen Kindes wieder selbst in die Hand nehmen, ist es unumgänglich, sie über die tatsächliche Situation ihres Kindes in Kenntnis zu setzen. Genau hier sind wir aber am ›Nerv‹ des Umgangs mit den Eltern anbelangt: ›tausend Dinge sehen, aber nur ein Ding sagen‹ soll nicht als Verharmlosung der Realität verstanden werden. Den Eltern die volle Wahrheit über die Situation ihres Kindes mitzuteilen, bedeutet nicht, dass dies zwangsläufig ohne Respekt vor der psychischen Situation der Eltern geschehen muss, nur weil die Wahrheit in diesem Falle eben sehr hart ist und die Eltern früher oder später mit dem Schmerz konfrontiert werden müssen. Das Leid, welches mit einem behinderten Kind verbunden ist, kann nicht verhindert oder auch nur abgemildert werden; es geht darum, die Eltern darin zu unterstützen, Kräfte zu mobilisieren, um mit diesem Leid leben zu können« (Jäger, 1985, S. 128f.)8.

Monika Aly, die längere Zeit mit Milani-Comparetti zusammengearbeitet hatte, hierzu:

»Es ist ein großer Unterschied, ob wir einer Mutter sagen: Ihr Kind wird in absehbarer Zeit sitzen können, sie können dabei das Kind auf diese oder jene Art unterstützen, oder ob wir sagen: Ihr Kind ist schwer- oder schwerstbehindert und wird niemals laufen können« (Aly et al., 1981, S. 29f.).

Zu 4: Die Normalität der Kinder fördern!

Milani-Comparetti hielt es für unerlässlich, der Suche nach den positiven Zeichen den Vorrang zu geben und nicht der Suche nach den Defekten. Er verwies auf die positiven Effekte dieses Vorgehens für die Familie. Für die Entwicklung der Motorik hat Milani-Comparetti nachgewiesen, dass es sich bei den Bewegungsmustern, die bisher als pathologisch bezeichnet wurden, um Reduktionen handelt – Bewegungen, die eventuell in der vorgeburtlichen Phase funktional waren. Wenn das Kind von sich aus keine funktionalen Alternativen zu den fehlenden Bewegungsmustern entwickeln konnte, dann müssen die TherapeutInnen helfen, das vorhandene Positive auszubauen.

Milani überträgt diese Schlussfolgerungen auch auf die Entwicklung von Denkleistungen: Wenn aus irgendwelchen Gründen die Denkleistungen vermindert sind, dann muss bei dem vorhandenen Positiven angesetzt werden.

Milani-Comparetti sagte bei seinem Vortrag 1981 in Hamburg: »Merk­würdigerweise nimmt man es einem Blinden ab, dass er nicht sehen kann und hilft ihm, Alternativen zu finden (wenn er nicht von selbst auf sie stößt), die ihm ein möglichst normales Leben erlauben; dies geschieht aber nicht beim geistig behinderten Kind, dessen korrekte Antwort auf den gegebenen Reiz oder auf die zu leistende Aufgabe immer als eine Frage der Intensität, der besseren Sinnesvermittlung oder der geschickteren Motivation angesehen wird, auch hier nach dem Motto: je mehr Behandlung desto mehr Resultate. Wir wissen ja, was die Verhaltenspsychologie in dieser Beziehung aus den Primaten herauszuholen im Stande ist« (Wunder & Sierck, 1982, S. 84).

Ein sehr konkretes Ergebnis der theoretischen Arbeiten von Milani-Comparetti ist der Katalog der »Verhaltens- und Beziehungsweisen«, den die Basismediziner in der Toskana (FamilienberaterInnen, Hebammen, KinderärztInnen) verwenden, um bei allen Kindern im Alter von einer Woche bis drei Jahren deren »Normalität« zu entdecken.

Ich wiederhole Milani-Comparetti: Um zu sehen, ob bei einem Kind die Sprungbereitschaft vorhanden ist, brauche ich nicht seine Reflexe auszulösen, ich muss gucken, wie das Kind sitzt.

Milani-Comparetti hatte empirisch nachgewiesen, dass alle Störungen im Zentralnervensystem durch kleinste Veränderungen der Bewegungsabläufe an den Händen und den Füßen eines Kindes abzulesen sind. Dies muss der Spezialist wissen. Die Basismediziner konzentrieren sich auf die normalen Verhaltens- und Beziehungsweisen, erst wenn festgestellt wird, dass da Störungen vorliegen, setzen die genaueren Beobachtungen an.

Schulreform in Italien

Die Arbeiten von Milani-Comparetti können nur richtig verstanden werden im Kontext der Gesellschaftsreformen in Italien nach 1968.

Zur Psychiatriereform (gesetzliche Regelung: Mai 1978) und zur Gesund­heitsreform (Dezember 1978) möchte ich hier keine spezifischen Aussagen machen (Basaglia, 1973).

Viel weniger bekannt bei uns als die Psychiatriereform (Hartung, 1980) und zugleich für die Arbeiten von Milani-Comparetti sehr wichtig, ist die Schulreform (Schöler, 1983). 1976 wurden die Sonderschulen per Gesetz in ganz Italien abgeschafft. Dies war nicht eine von oben verordnete plötzliche Veränderung, wie viele bei uns meinen, sondern eine Entwicklung wurde gesetzlich verankert, die seit circa zehn Jahren vorbereitet war. Die Democratia Christiana sah sich gezwungen, diese Initiativen aufzugreifen, um nicht weitere Wählerstimmen zu verlieren. Das für ganz Italien gültige Gesetz, nach dem jedes Kind – unabhängig von Art und Grad der Behinderung – den Anspruch hat, in eine Regelschule aufgenommen zu werden, wurde mit den Stimmen der Democratia Christiana verabschiedet.

1977 wurden die Ziffernzensuren abgeschafft. Ende der Pflichtschule: 8. Klasse.
Dies war das Ergebnis einer parallelen Entwicklung, die von anderen vorangebracht worden war als die Auflösung der Sonderschulen. Entscheidenden Einfluss auf diese Entwicklung hatte das Buch der Schüler von Barbiana. Der katholische Priester und Pädagoge, Don Lorenzo Milani, war ein Bruder von Milani-Comparetti.

Don Milani hatte erkannt und mit seinen Schülern der italienischen Öffent­lichkeit bewusst gemacht, dass das Selektionssystem an den Schulen vor allem die Arbeiterkinder und die Kinder auf dem Lande trifft.

In ihrem Brief an eine Lehrerin schrieben die Schüler:

»Wem hätte es zugestanden, einem Menschen Einhalt zu gebieten, der zwei von vier Schülern durchfallen lässt? Der Direktor hätte es tun können, oder der Schulrat? Aber sie haben es nicht getan. Die Eltern hätten es tun können. Aber solange Ihr (die Lehrer) das Heft des Messers in der Hand haltet, werden die Eltern still sein. Dann muss man also entweder Euch jedes Messer (Zensuren, Zeugnisse, Prüfungen) aus der Hand nehmen oder die Eltern organisieren. Eine ordentliche Gewerkschaft von Vätern und Müttern, die imstande sein muss, Euch zu erinnern, dass wir Euch bezahlen und dass wir Euch bezahlen, um uns zu dienen, nicht um uns hinauszuwerfen. Das wäre zuletzt zu Eurem Besten. Wer nie von Kritik getroffen wird, altert übel. Er verliert den Kontakt zur Geschichte, die lebt und fortschreitet. Er wird zu einem so armseligen Geschöpf, wie Ihr es seid« (Scuola di Barbiana, 1970, S. 39f.).9

1967 – einen Monat nach dem Erscheinen des Buches – starb Lorenzo Milani. Die StudentInnen und die Arbeiterbewegung griffen dieses Buch 1968 auf. Die deutsche Übersetzung, die 1970 bei Wagenbach erschien, hatte auch bei uns in den Diskussionen um Schulreformen eine große Bedeutung: Viele der Forderungen, die in dem Buch Scuola di Barbiana nachzulesen sind, sind bei den Reformen der staatlichen italienischen Schulen berücksichtigt worden. Es waren vor allem die Mütter und Väter in den Industriegewerkschaften, die diese Reformen durchgesetzt haben. Heute sind die Klassenfrequenzen in Italien erstaunlich niedrig.10

Bei diesen niedrigen Frequenzen ist in der Grundschule das Zweipädagogenprinzip durchgesetzt. Dies ist für die LehrerInnen sicherlich die entscheidende Veränderung ihrer täglichen Unterrichtspraxis, wenn sie ein behindertes Kind in der Klasse haben: Sie sind dann nicht mehr allein für alles Verantwortlichen, sondern sie müssen lernen zu kooperieren: Die Integration der Kinder mit Behinderungen fängt mit der Kooperation der LehrerInnen und der Kooperation aller Spezialisten an (Schöler, 1985a, S. 36ff.).

In Italien sind an die Stelle der Ziffernzensuren Beschreibungen getreten, die den Eltern Auskunft geben über den jeweiligen Stand der Entwicklung ihres Kindes.

Es gibt keine Schulreifetests, jedes Kind eines Geburtsjahrganges hat das Recht, gemeinsam mit den anderen gleichaltrigen Kindern in die Schule zu gehen.

Es gibt kein dreigliedriges Mittelschulsystem (Haupt-, Realschule und Gymnasium), auch kein Kurssystem, sondern: Alle Kinder besuchen eine einheitliche Mittelschule. Am Ende der Schulpflicht erhält jedes Kind eine Bescheinigung, dass es die Schulpflicht erfüllt hat – auch das Kind, das bei uns als geistig behindert bezeichnet worden wäre. Mit dieser Bescheinigung hat das Kind das Recht, sich in jeden Zweig der Oberschule einzuschreiben. Die Eltern eines geistig behinderten Kindes werden kaum den traditionellen Zweig – Gymnasium – wählen, aber: Luca, ein Junge mit Down-Syndrom, der in diesem Herbst die Mittelschule beendet, hat sich bereits in eine Schule für das Keramikhandwerk eingeschrieben und er wird sehen, welche Stufe der beruflichen Qualifikation er erreicht.11

Wenn Milani-Comparetti die Eltern der Säuglinge beriet und seinen Dialog mit dem Kind aufnahm, dann konnte er dies tun in der Sicherheit, dass sein Bemühen um die Förderung der Normalität dieses Kindes nicht mit dem Beginn der Schulzeit abgebrochen würde.

Wenn Milani-Comparetti die Wahrung der Ganzheitlichkeit in den drei Dimensionen der Beziehungen eines Kindes forderte, dann konnte er dies tun, weil er wusste, dass das Kind nicht wegen der fehlenden Sehfähigkeit oder fehlender Motorik bei der Entwicklung anderer Sinnes- oder Körperteile eingeschränkt werden wird. Er wusste, dass dieses Kind mit Sicherheit den gemeinsamen Kindergarten, die gemeinsame Schule mit den Geschwistern oder Nachbarkindern besuchen wird, egal, welche Diagnose er stellt. Er wusste, dass die Entwicklung der Zukunft dieses Kindes für einen langen Zeitraum offen bleibt – zumindest bis zum Ende der Pflichtschulzeit. Die Dimension seiner Entwicklung, die die Zukunft des Kindes betrifft, ist in Italien – zumindest institutionell – nicht eingeschränkt.

Wenn Milani-Comparetti die Eltern als die eigentlichen ExpertInnen ihrer Kinder ernstnahm, dann konnte er sicher sein, dass die Eltern in dem Maße ihm gegenüber ehrlich waren, wie es ihrem Charakter von Krisenverarbeitung entsprach.12

Milani-Comparetti begann mit der Förderung der Normalität der Kinder zum Teil im Alter von ein bis zwei Wochen. Er sah es als eine sehr wichtige Aufgabe an, den Eltern, die wegen der Diagnose einer Behinderung verunsichert waren, wieder Sicherheit zu geben, indem er ihnen bewusst machte, welche Anteile an Normalität dieses Kind hat.

Milani-Comparetti konnte dies tun mit der Sicherheit, dass andere Experten in anderen Gebieten diese Arbeit fortführen; zum Beispiel sein Kollege Otto-Ludwig Roser, der als Psychologe regelmäßig in die Schulen geht und in Gesprächen mit den Lehrern diesen Sicherheit vermittelt. Er bestärkt die Lehrer darin, die Anteile an Normalität – auch der schwerer behinderten Kinder – zu fördern. Milani-Comparetti begann seine Arbeit am Zentrum »Anna Torrigiani« 1957 in Florenz als die italienische Regelschule noch so selektiv war, wie sein Bruder Don Lorenzo Milani es mit den Schülern von Barbiana 1967 beschrieb. Die Auflösung des Zentrums »Anna Torrigiani« nach 1968 wäre mit Sicherheit nicht möglich gewesen, wenn sich in der Zwischenzeit das italienische Schulsystem (neben dem Gesundheitssystem) nicht auch so gewaltig verändert hätte. Lorenzo Milani – als Pädagoge und Priester – und Adreano Milani-Comparetti – als Mediziner und Psychologe – hatten an dieser Entwicklung einen großen Anteil.

Gedanken zur Bedeutung der Arbeiten von Milani-Comparetti für die Integrationsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland

Milani-Comparetti konnte sehr gut deutsch. Für seine Vorträge in Deutschland oder seine Seminare, die er für deutsche KinderärztInnen in Florenz anbot, gab es keine Sprachbarriere. Er hatte sich vorgenommen, die Zeit seiner Pensionierung unter anderem dafür zu nutzen, in Deutschland Entwicklungen mit zu unterstützen, die er vor 20 Jahren in Italien mit anderen zusammen begonnen hatte. Er konnte dabei sicher sein, dass diese Entwicklung in Italien so gefestigt ist, dass ein Rückfall in die alten Institutionen nicht mehr möglich erscheint.13

In Italien muss die tägliche Praxis in den Ambulatorien, Kindergärten und den Schulen verbessert werden. Dies ist Aufgabe einer jüngeren Generation von Medizinern, Psychologen und Pädagogen.

Die Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft ist ein langer und schwieriger Weg, der sicherlich mindestens ebenso lang sein wird, wie der, Frauen eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Die gesellschaftliche Utopie, an der ich mich orientiere, wenn ich die Nichtaussonderung behinderter Kinder fordere, ist: Menschen sollen um ihrer selbst willen angenommen, geliebt und geachtet werden und entsprechend ihren je individuellen Möglichkeiten gefördert und in ihren Leistungen bestätigt und ermutigt werden. Dies gilt für alle Menschen, für alle Kinder, nicht nur für die Behinderten (vgl. Schöler, 1985b).

Die Umsetzung dieser Utopie bedeutet, jegliche hierarchische Kommunikation abbauen und prinzipiell gleichberechtigte, zugleich die Unterschiedlichkeit der Personen beachtende zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe entwickeln (Watzlawick et al., 1969).

Wir Erwachsenen stoßen an die Grenzen unseres Denkens und Handelns, wenn wir die oben formulierten Utopien nicht nur auf das pädagogische Handeln mit Kindern beziehen, sondern auch die Gültigkeit für uns selbst zulassen.

Zwei Beispiele: Maria Montessori wurde 1890 als erste Frau in Rom zum Medizinstudium zugelassen. Zuvor war es nicht nur etwas noch nie Dagewesenes, es war auch undenkbar, dass eine Frau Medizin studierte.14

Ein Blinder soll nicht am Richtertisch sitzen, weil er die Zeugen nicht sehen kann.15 Es erscheint uns undenkbar, dass dieser Mensch andere Kommunikationsformen entwickelt hat, die das Defizit seines Nicht-Sehen-Könnens ausgleichen. Wir haben keine Erfahrungen, in der gleichberechtigten Kommunikation mit behinderten Menschen. Jaques Lusseyran, ein blinder Franzose, hatte in der französischen Widerstandsbewegung eine entscheidende Schlüsselposition. Er wählte die Menschen aus, die in die Widerstandsgruppen aufgenommen wurden. Er hatte gelernt, aus einem Verzögern der Antwort, einer Veränderung der Stimme, dem Geräusch einer fahrigen Handbewegung herauszuhören, welchen Menschen er vertrauen konnte und welchen nicht (Lusseyran, 1981).16

Ich komme zurück zu den vier Forderungen Milani-Comparettis und übertrage sie auf unsere gegenwärtige Diskussion um die Nichtaussonderung behinderter Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.

Nach meiner Einschätzung stehen wir in einer entscheidenden Phase der Entwicklung: Immer mehr Menschen begreifen, dass es nicht richtig ist, Kinder wegen eines Defizits von den übrigen Kindern abzusondern. Das formale Recht zu sichern, dass auch geistig behinderte Kinder in den Regelschulen zugelassen werden, ist eine notwendige Forderung.

Wenn wir nicht gleichzeitig die Regelschule für alle Kinder verändern, dann ist die Gefahr groß, dass subtilere Formen von Aussonderung entstehen. Aus Angst vor einer solchen Möglichkeit dürfen wir trotzdem nicht zögern, die ersten Schritte zu tun. Maria Montessori hat zum Beispiel ihre Sezierübungen in einem anderen Raum machen müssen als die Männer. Nur die Vorlesungen durfte sie gemeinsam mit den männlichen Studenten hören.

Zu Milani-Comparettis Forderung: Den Dialog mit dem Kind aufnehmen!

Den Dialog mit dem Kind aufnehmen bedeutet, eine positive Prognose für die Zukunft des Kindes entwickeln. Dass die Aussonderung in Sonderschulen für die Kinder gut sei, davon können die Psychologen, Mediziner und Pädagogen die betroffenen Menschen immer weniger überzeugen.17

Die Spezialisten sollten sich nicht weiter hinter Testbatterien verstecken, die scheinbar objektiv die Aussonderungspraxis begründen, sondern sie sollten ihre Spezialqualifikationen in den Dialog mit den Kindern, den Eltern und Lehrern einbringen, um in der normalen Umgebung nach den förderlichen Alternativen zu suchen. Wie viel Energie von Experten wird verschwendet für die Suche nach der angeblich richtigen Sonderschule; zum Beispiel: Ist das körperbehinderte Kind auch lernbehindert oder vielleicht sogar geistig behindert? Ist Blindheit oder die Muskelschwäche eines Kindes das entscheidende Defizit?

Dagegen Milani-Comparettis Standpunkt: Je schwerer ein Kind behindert ist, um so notwendiger braucht dieses Kind die Anregungen einer vielfältigen Umwelt und die Unterstützung der SpezialistInnen in dieser Situation.

Zur Forderung: Die drei Dimensionen der Beziehungen jedes Kindes respektieren!

Diese Forderung auf die gegenwärtige Diskussion um institutionelle Veränderungen bezogen, heißt: Alle Spezialisten müssen mit der Kooperation beginnen und die Kinder nicht länger in ihre Körperteile und Sinnesorgane zerlegen! Wie Therapien in die tägliche Gruppensituation in Kindergarten oder Schule einbezogen werden können, ohne zugleich jede Alltagssituation wieder zur Therapie verkommen zu lassen, ist eine wichtige Frage, an deren Lösung sich Therapeuten und Sonderpädagogen in gleichberechtigter Kommunikation mit ErzieherInnen und Lehrern beteiligen sollten (vgl. Aly, 1982; Aly et al., 1981).

Wie die Zugehörigkeit der behinderten Kinder an den Erfahrungen aller Kinder sichergestellt werden kann, daran muss in den ersten Integrationsschulen sehr intensiv gearbeitet werden (vgl. Valtin et al., 1984).

Extrabänke und eventuell sogar gelegentlich Extraräume werden noch akzeptiert werden müssen, wenn wir uns unsere gegenwärtigen Grenzen als PädagogInnen eingestehen. Der falsche Anfang wäre es jedoch, zwischen »integrierbaren« und »nicht integrierbaren« behinderten Kindern unterscheiden zu wollen.

Die Sonderpädagogen sollten sich nicht weiter nach dem Prinzip des »Alles oder Nichts« verhalten. »Das ist ja gar keine richtige Integration, wenn …« und dann werden Forderungen gestellt, die gegenwärtig noch nicht einzulösen sind. Ich komme zurück auf das Beispiel von Maria Montessori. Sie musste akzeptieren, in einem besonderen Raum zu sezieren, um überhaupt zum Medizinstudium zugelassen zu werden. Wir werden es auch akzeptieren müssen, dass wir in den ersten Integrationsversuchen nicht immer alles zur gleichen Zeit mit allen Kindern gemeinsam machen können, wenn dies überhaupt ein erstrebenswertes Ziel ist. Aber dies ist unser Unvermögen. Wir müssen noch viel lernen. Wir dürfen nicht mehr von der Integrationsfähigkeit oder -unfähigkeit der einzelnen Kinder mit Behinderungen reden, sondern von der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft (vgl. Feuser, 1985, S. 354ff.).

Zur Forderung: Die Eltern als die eigentlichen ExpertInnen ihrer Kinder ernstnehmen!

Kein Mensch, der bei uns beteiligt ist an der Stellung von Diagnosen über Kinder, sollte sich wundern, wenn die Eltern bewusst lügen oder versuchen, die Defizite ihres Kindes auch sich selbst gegenüber zu leugnen. Die Diagnose »geistige Behinderung« wird bei uns immer noch verbunden mit dem Hinweis an die Mutter und den Vater, dieses Kind hätte keine große Lebenserwartung. Oder: Sie können es auch in ein Heim oder zur Adoption geben. Die Eltern sollten sich gar nicht erst zu sehr emotional an dieses Kind binden. Das Kind in ein Heim oder zur Adoption frei zu geben, kann durchaus den eigenen Bedürfnissen der Eltern entsprechen. Es kann aber auch ihr dringendes Bedürfnis sein, eine Beziehung zu diesem Kind und eine Zukunftsperspektive für dieses Kind aufzubauen – unabhängig von der Behinderung. Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernstnehmen, heißt zunächst: Die Bedürfnisse der Eltern kennenzulernen, zu verstehen, was es in der bestehenden Familienkonstellation bedeutet, ein Kind mit Behinderung zu haben.18

Der Verein »Eltern für Integration« (Manfred Rosenberger) und die Gruppe »Eltern beraten Eltern behinderter Kinder« (Ingelore Gumlich) sind zwei Selbsthilfegruppen, in denen sich betroffene Eltern zusammengeschlossen haben (Gumlich & Teschner, 1985, S. 29ff.). Diese Gruppen brauchen auch die Unterstützung derjenigen, die sich bisher professionell mit behinderten Kindern beschäftigt haben. Die Eltern als die eigentlichen Experten ihrer Kinder ernst nehmen, heißt auch, als Sonderpädagoge/Sonderpädagogin, Testpsychologe/Testpsychologin oder MedizinerIn mit den Eltern zusammen zur Schulsenatorin gehen, in der Sicherheit der eigenen Professionalität darstellen, welche Folgen sich für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder (und besonders der geistig behinderten) aus deren Isolation in die Institution Sonderschule ergeben.

Zur Forderung: Die Normalität der Kinder fördern!

Das heißt konkret: dem blinden Menschen nicht zum Vorwurf machen, dass er nicht sehen kann und ihm damit die Ausübung eines seiner Bürgerrechte, nämlich die Tätigkeit eines Schöffen, verweigern. Ich unterstelle, dass die meisten Menschen es noch akzeptieren können, wenn gefordert wird, dass ein blinder Mensch auch RichterIn sein darf. Wie ist es aber mit geistig behinderten Kindern? Es erscheint vielen von uns undenkbar, dass ein geistig behindertes Kind gemeinsam mit allen anderen Kindern lernt. Unsere »Obrigkeit« lässt aber nicht einmal den Versuch, im Rahmen eines wissenschaftlich begleitenden Modellversuchs, zu (vgl. Eck et al., 1984, S. 139ff.).

Vielleicht sollte man den Eltern geistig behinderter Kinder raten, sich an den Papst zu wenden. Maria Montessori musste dies tun, um ihr Medizinstudium zu erstreiten. Der gegenwärtige Papst wird wissen, dass in Italien jedes geistig behinderte Kind das Recht hat, eine Regelschule zu besuchen. Dort, wo die Erfahrungen zugelassen wurden, wurden inzwischen Entwicklungen möglich, die zum Beispiel auch Milani-Comparetti vor fünf Jahren noch als sehr unsicher ansah: In Italien werden Kinder mit geistiger Behinderung in die Regelschule aufgenommen, auch wenn man davon ausgeht, dass sie eventuell nicht lesen, schreiben oder rechnen lernen könnten. Inzwischen ist die Tatsache bewiesen, dass viele dieser Kinder etwa im 3. Schuljahr mit dem Lesen und im 5 Schuljahr mit dem Schreiben beginnen, wenn sie das ständige Vorbild der anderen Kinder haben und nicht ständig durch das Trainieren an ihren Defiziten verunsichert werden.19

Bisher ist noch unklar, wie diese Kinder in mathematischen Zusammenhängen gefördert werden können. Aber in Schulversuchen in Bologna wurde »entdeckt«, dass Kinder mit geistigen Behinderungen zum Teil sehr geschickt mit Rechenautomaten oder Computern umgehen können.20 Das Defizit »Nicht-Rechnen-Können« darf nicht als Begründung dafür herhalten, bei diesen Kindern die vielen anderen Dimensionen ihrer Normalität verkümmern zu lassen.

Milani-Comparetti vereinigte in seiner Person seinen eigenen Anspruch an Ganzheitlichkeit:

  • Als Theoretiker und Wissenschaftler war er sehr präzise und anspruchsvoll und in der Auseinandersetzung mit FachkollegInnen oft hart und unerbittlich.
  • Zugleich war er den Menschen zugewandt, weich und emotional, jeden Dialog zulassend.

Er war einer der Menschen, die das Problem der Trennungen zwischen Theorie und Praxis bewältigt haben: Er hat sich den Respekt und die Anerkennung seiner Fachkollegen erarbeitet und zugleich den Dialog mit allen Menschen in der Praxis nicht abgebrochen. Er brauchte den Praktikern, mit denen er kooperierte (Therapeuten, Hebammen usw.) nie Theoriefeindlichkeit vorzuwerfen, weil er seine Theorie in der Praxis so vermittelt hat, dass sie überzeugte. Ich bin ganz sicher, dass in Italien nach dem Tod von Milani-Comparetti seine Arbeit weitergeführt wird; es gibt dort viele Menschen, die in den letzten Jahren mit ihm zusammengearbeitet haben und mit ihm gemeinsam junge Kolleginnen und Kollegen ausbildeten. Wir in Deutschland hätten die Anregungen und Ermutigungen von Milani-Comparetti noch gut gebrauchen können. Ich bin aber auch optimistisch, dass es hier genügend Menschen gibt, die immer klarer erkennen, was anders werden muss, was wir unseren Kindern nicht mehr länger zumuten können.

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Milani- Comparetti, A. (1980). Le propostedel bambino. Simposio su: 11 bambino come comucazione. Milano, 3–5 Ottobre 1980.

Milani-Comparetti, A. (1982). Protagonismo e idetiti dell’ essere umano nel processo ontogenitico. Giornate Italo-Americane di Ultrasonografia. Assisi, 25–27 Marzo 1982.

Milani-Comparetti, A. (1983). Interazione fra sistema scolastico e sanitario. ln salute e territorio, 3, Maggio-Glugno 1983.

Die Verweise auf italienisch- und englischsprachige Veröffentlichungen von Milani-Comparetti sind entnommen: der nicht veröffentlichten Wissenschaftlichen Hausarbeit von Eckhard Jäger: Die Methode zur Früherkennung und Prävention körperbehinderter Kinder von Prof. Dr. A. Milani-Comparetti, Fachbereich Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen, 1985.

Bericht über die Arbeitsweise von Milani-Comparetti, A. (1981). In M. Aly, G. Aly & M. Tumler (Hrsg.). (1981), Kopfkorrektur – oder der Zwang gesund zu sein. Berlin: Rotbuch.

Eindrücke über die Entwicklung des italienischen Schulsystems vermitteln: Scuola di Barbiana (1970). Die Schülerschule – Brief an eine Lehrerin. Berlin: Rotbuch. Originalausgabe 1967 (der Initiator, Lehrer und »Vater« von Barbiana war Don Lorenzo Milani – ein Bruder von Adreano Milani-Comparetti); Brink, L. & Thies, L. (unter Mitarbeit von Iben, G.) (1984). Nachforschungen in Barbiana. Weinheim u. Basel: Beltz.; J. Schöler (Hrsg.). (1983). Schule ohne Aussonderung in Italien. Berlin: Guhl-Verlag.